Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
abgewaschen haben – »Gebrochen«, sagt er mit belegter Stimme und zuckt zusammen, als Raven mit einem Finger über seinen Nasenrücken fährt –, und er ist auch noch nicht wieder da, als wir uns schließlich alle mit unseren dünnen Decken auf die Pritschen legen und sogar Julian einschläft, während er geräuschvoll durch den Mund atmet.
Als wir aufwachen, ist Alex zwar da gewesen, aber schon wieder weg. Seine Habseligkeiten fehlen, genau wie ein Krug Wasser und eins der Messer.
Er hat nichts zurückgelassen außer einer Nachricht, die ich ordentlich gefaltet unter meinem Turnschuh finde.
Ich kann es dir nicht anders erklären, als mit der Geschichte von König Salomo.
Und dann, in kleineren Buchstaben: Verzeih mir .
hana
N
och dreizehn Tage bis zur Hochzeit. Die ersten Geschenke treffen bereits ein: Suppenschüsseln und Salatzangen, Kristallvasen, große Mengen weißer Tischdecken, mit Monogramm bestickte Handtücher und Dinge, von denen ich bisher noch nicht mal den Namen kannte: Gratinformen, Zestenreißer, Stößel. Dies ist die Sprache eines Lebens als verheiratete Frau und mir völlig fremd.
Noch zwölf Tage.
Ich setze mich vor den Fernseher und schreibe Danksagungen. Mein Vater hat jetzt praktisch rund um die Uhr mindestens einen Fernseher laufen. Ich frage mich, ob er damit auch beweisen will, dass wir es uns leisten können, Energie zu verschwenden.
Zum wie ich glaube heute bereits zehnten Mal erscheint Fred auf dem Bildschirm. Sein Gesicht ist von Make-up und Puder leicht orange getönt. Der Ton ist ausgeschaltet, aber ich weiß, was er sagt. Die Nachrichten haben die Bekanntgabe der Gründung eines Dezernats für Energie und Strom und Freds Pläne für die Schwarze Nacht wieder und wieder gesendet.
In der Nacht unserer Hochzeit wird ein Drittel der Familien Portlands – alle, die im Verdacht stehen, Sympathisanten oder Widerständler zu sein – in Dunkelheit versinken.
Den Gehorsamen leuchtet das helle Licht; den Übrigen ist bis ans Ende ihrer Tage ein Leben in Dunkelheit beschieden ( Das Buch Psst , Psalm 17). Fred hat diese Stelle in seiner Rede zitiert.
Vielen Dank für die Leinenservietten mit Spitzenborte. Genau solche hätte ich mir selbst ausgesucht.
Vielen Dank für die Zuckerdose aus Kristallglas. Sie wird auf dem Esstisch wunderschön aussehen.
Es klingelt. Ich höre, wie meine Mutter zur Tür geht, dann gedämpftes Stimmengemurmel. Kurz darauf kommt sie aufgeregt und mit gerötetem Gesicht ins Zimmer.
»Fred«, sagt sie, als er hinter ihr das Zimmer betritt.
»Danke, Evelyn«, sagt er knapp, was sie als Zeichen deutet, uns allein zu lassen. Sie macht die Tür hinter sich zu.
»Hi.« Ich stehe auf und wünschte, ich hätte etwas anderes an als ein altes T-Shirt und ausgefranste Shorts. Fred trägt eine dunkle Jeans und ein weißes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln. Ich spüre, wie er seinen Blick über mich schweifen lässt und meine strubbeligen Haare, den Riss im Saum meiner Shorts und die Tatsache, dass ich kein Make-up trage, registriert. »Ich habe nicht mit dir gerechnet.«
Er sagt nichts. Jetzt sehen mich zwei Freds an, Fernseh-Fred und der echte. Fernseh-Fred lächelt, beugt sich vor, entspannt und gelassen. Der echte Fred steht steif da und funkelt mich an.
»Ist … ist irgendwas?«, frage ich, nachdem das Schweigen mehrere Sekunden angedauert hat. Ich gehe zum Fernseher und schalte ihn aus, einerseits, um Fred nicht dabei ansehen zu müssen, wie er mich ansieht, andererseits, weil ich den doppelten Anblick nicht ertrage.
Als ich mich wieder umdrehe, schnappe ich kurz nach Luft. Fred ist lautlos näher gekommen und steht jetzt gerade mal zwanzig Zentimeter vor mir, das Gesicht blass und wütend. So habe ich ihn noch nie gesehen.
»Was …?«, hebe ich an, aber er unterbricht mich.
»Was zur Hölle ist das?« Er steckt die Hand in seine Jackentasche und zieht einen gefalteten braunen Briefumschlag heraus, den er auf den gläsernen Couchtisch wirft. Mehrere Fotos rutschen aus dem Umschlag auf den Tisch.
Ich sehe mich, erstarrt, festgehalten von einer Kameralinse: Klick. Wie ich mit gesenktem Kopf und einem leeren Rucksack über der Schulter an einem baufälligen Haus vorbeigehe – dem Haus der Tiddles in Deering Highlands. Klick. Von hinten: Wie ich zwischen verschwommenem Grün hindurchgehe und die Hand ausstrecke, um einen niedrigen Ast beiseitezuschieben. Klick. Wie ich mich überrascht umdrehe und den Wald hinter mir nach einer Quelle dieses
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