Requiem für eine Sängerin
Fenwick war sicher, dass der Mann zur Waffe greifen würde, ehe er sich ihm auch nur nähern konnte. Doch er war ohnehin im Nachteil.
«Sie sagten, Sie könnten mir von Victor Rowland erzählen.»
«Ja, wir haben eine Zeit lang zusammengearbeitet.»
«Im Special Air Service?»
Bayliss schüttelte den Kopf, dann zuckte er die Achseln. «Wenn Sie meinen.»
«Warum haben Sie beschlossen, sich mit mir zu treffen?»
«Ich finde, Sie tun verdammt gut daran, nach Vic zu suchen, aber ich musste Sie erst mal sehen.»
«Warum?»
«Ich musste sehen, ob Sie dem gewachsen sind.» Er machte eine Pause und sah Fenwick durchdringend an. «Ich glaube, das sind Sie. Schwer zu sagen. Wenn nicht, hätte ich das sofort gemerkt. Ich denke, Sie können es schaffen. Ich hoffe es sogar.»
«Wozu diese Dramatik? Es mag ein schwieriger Fall sein, aber ich betrachte ihn nicht als unlösbar.»
«Dann sind Sie verdammt dumm, und das könnte fatale Folgen haben. Im Ernst. Wenn Sie glauben, dass dies ein normaler Fall ist – Herrgott! Vic Rowland ist, war, ein ganz besonderer Soldat. Sie müssen in völlig anderen Kategorien denken. Er war einen Tick besser. Vom ersten Moment an ist er mit seinen Fähigkeiten aufgefallen. Er wurde ausgebildet und auf die Probe gestellt und hat sich mehrere Male bewährt.»
Der Mann sprach abgehackt, zögerte eben noch, mit etwas herauszurücken, und plapperte im nächsten Moment drauflos. Fenwick hörte einfach zu. Bayliss beschrieb Rowlands Sprachbegabung, seine Kraft und wie er sich in Topform hielt. Was Vic von anderen unterschied, das war seine Scheiß-drauf-Einstellung.
«Aber Sie müssen wissen, dass er imstande war, seine Emotionen vollkommen unter Kontrolle zu halten, sich ausschließlich auf seine Aufgabe zu konzentrieren, egal, unter welchen Umständen.» Bayliss ging zum Auto und stützte sich auf die Motorhaube.
«Klingt wie die Hauptrolle in einem Schwarzenegger-Film!»
«Hören Sie, Fenwick, ich kannte ihn mit Unterbrechungen fünfzehn Jahre lang, und ich habe nie gesehen, dass er einmal die Beherrschung verloren hätte. Er hatte einfach nicht die Gefühle wie wir anderen, und wenn, ließ er sich nicht davon beeinflussen. Und Vic war ein Star mit grenzenlosen Möglichkeiten. Er war der Mann, der vorgezeigt wurde, um die verdammten Politiker zu beeindrucken. Er war in den höchsten Kreisen bekannt.»
«Ein Held also.»
«Das wollte ich nicht sagen. Er war einer von uns. Besonders, aber nicht mehr oder weniger heldenhaft als wir anderen. Ich glaube, der Unterschied waren die Gefühle; er war so verdammt ausgeglichen und beherrscht.»
«Was ist mit Frauen? Wollen Sie sagen, dass er im Zölibat lebte?»
«Hören Sie auf! Er war nicht verheiratet und hatte keine feste Freundin. Er brauchte Sex, aber das sah er als etwas rein Körperliches, das ihm gefiel, nichts weiter.»
«Also haben wir es mit einem höchst tüchtigen, klugen und durchtrainierten Mann zu tun. Ihren Worten nach mit jemand, der früher schon getötet hat?»
«Das hört sich so verdammt trocken an, Fenwick. Herrgott, ja, das stimmt, aber Sie haben ihn immer noch nicht verstanden. Ich glaube nicht, dass er sich an die Menschen erinnert , die er getötet hat; sie waren immer nur Teil eines Problems, das gelöst werden musste. Und er hat nie versagt, wie beschissen der Auftrag auch gewesen sein mag.»
«Verstehe.»
«Ich bin noch nicht fertig. Ich habe gerade den Mann beschrieben, mit dem ich jahrelang zusammengearbeitet habe. Ich habe ihm rückhaltlos vertraut. Er war so etwas wie ein guter Freund.»
«Und jetzt verraten Sie ihn? Oder verschaukeln Sie mich?»
Bayliss sah mit leerem Blick in die Ferne; eine tiefe Sorgenfalte teilte seine Stirn.
«Ich hoffe es bei Gott nicht, Fenwick.» Er drehte sich zu dem Detective um und sah ihm in die Augen. Sein konzentrierter Blick war so stechend, dass Fenwick sich vorkam, als hätte er ein Fadenkreuz auf der Stirn. «Ich glaube, Sie sind seine einzige Hoffnung. Sehen Sie, der Mann, den ich Ihnen gerade beschrieben habe, existiert nicht mehr.»
Fenwick verzog ungläubig den Mund.
«Nein. Glauben Sie mir. Es fing letzten November an. Wir hatten Monate mit besonders harten Einsätzen hinter uns und waren alle verdammt erschöpft. Post, Briefe von zu Hause, waren gesammelt worden und warteten auf uns …» Er zögerte. «Unwichtig, wo. Vic bekam selten Briefe – er schien keine Verwandten oder engen Freunde zu haben. Aber an dem Tag hatte er mehrere. Ich kann mich gut daran
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