Requiem für eine Sängerin
bezweifelte, dass das auch bei seiner fünfeinhalbjährigen Tochter der Fall war.
«Nein, die Schule war schrecklich. Mrs. Gross war den ganzen Tag böse auf uns, und wir durften nicht draußen spielen, weil es geregnet hat, und der stinkende Jimmy Barnes hat Christopher mit dem Spaten auf den Kopf gehauen, dass es geblutet hat, und ich durfte nicht mehr am Unterricht teilnehmen, aber das war ungerecht , weil ich gar nichts gemacht hab. Nur weil ich Chris mein Taschentuch wegen dem Blut gegeben hab. Es war schrecklich.»
Fenwick machte sich Sorgen um seinen Sohn. «Geht es Christopher gut, Bess? Wie schlimm ist es mit seinem Kopf?»
«Er ist ganz still. Mit mir spricht er, aber er hat nicht zu Abend gegessen, und er redet kein Wort mit Oma.»
«Herrje. Ich sollte wohl mal mit ihr sprechen. Aber dir geht es gut, Kleines, ja?»
«Mir geht es gut … aber du fehlst mir, Daddy! Oma ist nett und hat mir lecker zu Abend gekocht, aber … sie ist nicht du.» Die letzten Worte waren nur noch ein Flüstern, das beinahe im Rauschen der Leitung unterging.
«Ich weiß, aber mach dir nichts draus. Es ist nur noch ein Tag bis zum Wochenende, und vergiss nicht, ich muss diesen Samstag nicht arbeiten.» Er kreuzte zwei Finger und hoffte.
«Sicher, aber manchmal passiert ja doch was. In deinem Job ist immer irgendwas los, oder nicht?»
Er musste lächeln, als er die Kleine seine kläglichen Ausreden nachplappern hörte; und sie kannte sie nicht nur auswendig, sie glaubte sie auch!
«Gib mir jetzt Oma, Liebes. Nacht-Nacht, und Gott schütze dich.» Er hauchte einen Kuss in die Leitung und hoffte, dass niemand ihn beobachtete. Prompt folgte die Belohnung in Form ihres Segens, und er dankte dem Himmel für Bess. Er wusste nicht, in welche Abgründe er in den vergangenen Monaten ohne sie versunken wäre.
«Hallo, Andrew? Schon wieder spät dran?» Der Tonfall seiner Mutter war so schmerzhaft wie ihre Hand.
«Ja, Mom. Tut mir Leid. Hier ist der Teufel los. Aber wie geht es Christopher? Ist er wirklich mit einem Spaten geschlagen worden?»
«Ja, aber eine Keilerei ist doch nichts Ungewöhnliches für einen Jungen seines Alters. Ich glaube, Bess hat mehr Schaden angerichtet. Offenbar hat sie es dem Jungen, der Christopher gehauen hat, richtig gezeigt, und der war entweder zu wohlerzogen oder zu ängstlich, um sich zu wehren! Du weißt, dass sie zur Löwin werden kann, wenn es um ihren Bruder geht. Sie mussten sie von dem Jungen herunterziehen, und dafür durfte sie dann den Rest des Nachmittags in der Ecke sitzen.»
«Also so war das! Bloß gut, dass ich das eben noch nicht wusste – ich hätte zu viel Verständnis, um mit ihr zu schimpfen. Und was ist mit Chris?»
Es folgte eine Pause, während der er hören konnte, wie seine Mutter die Tür zumachte. «Nun, nicht gut. Oh, die Beule am Kopf ist nicht weiter schlimm, aber ich mache mir ernstlich Sorgen um ihn, Andrew. Ich bekomme kein Wort aus ihm heraus, und er hat wieder mit diesem Schaukeln angefangen. Das erste Mal, seit er seine Mutter verloren hat.»
«Sollten wir noch mal mit ihm zum Arzt gehen?»
«Unbedingt. Er darf auf keinen Fall morgen in die Schule. Die können ihn auch nicht dauernd im Auge behalten.» Sie holte Luft. «Ich glaube sogar, dass er überhaupt nicht mehr in diese Schule gehen sollte, Andrew. Wir müssen wirklich etwas Geeignetes für ihn finden.»
«Moment mal! Das hatten wir doch schon. Das ist eine schwerwiegende Entscheidung. Lass dem Jungen ein bisschen Zeit, er war heute das erste Mal wieder dort. Vorher hat es ihm auch gefallen.»
Fenwick biss die Zähne zusammen. Christopher war nie ein emotional robustes Kind gewesen, und er hatte große Hoffnungen auf die stabilisierende Wirkung einer «normalen» Schule gesetzt. Er war überzeugt davon, dass das normale Leben im Dorf das Beste für den Jungen war, dass ihm der Umgang mit anderen Kindern gut tun würde. Insgeheim glaubte er, dass der Kleine überhaupt nur so empfindlich war, weil sie ihn verhätschelt hatten.
«Ich weiß, er ist dein Sohn, aber es wird Zeit, den Tatsachen ins Auge zu sehen.» Sie senkte die Stimme noch mehr. «Du musst akzeptieren, dass Christopher nicht ganz gesund ist. Er ist zutiefst verstört und hat sich noch nicht einmal ansatzweise vom Verlust seiner Mutter erholt.»
«Aber Bess und er sind jetzt jeden Tag zusammen, Mom, vergiss das nicht.» Er hörte selbst das Eingeständnis der Niederlage in seinem Tonfall. Und er wusste, was seine Mutter als Nächstes
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