Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Requiem für eine Sängerin

Requiem für eine Sängerin

Titel: Requiem für eine Sängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Corley
Vom Netzwerk:
Fenwicks Kehle war wieder da, aber er redete weiter und versuchte verzweifelt, seinen Sohn wieder auf festen Boden zu bringen. Vergebens. Er hörte, wie der Hörer auf den Tisch gelegt wurde und Chris wegging. Ein paar Minuten kämpfte er gegen den übermächtigen Wunsch, den Aktenstapel auf seinem Schreibtisch zu ignorieren. Am Ende entschied er sich für einen Kompromiss und beschloss, zu Hause an den Beschwerden zu arbeiten. Er schob die Hefter in seine Aktentasche und ging.
     
    Zwei Stunden später saß er im Wohnzimmer und genoss das Kaminfeuer. Er hatte die Kinder mit ausgiebigem Herumtollen zu Bett gebracht, ein ausgezeichnetes Abendessen zu sich genommen, entspannte sich mit einem großen Whiskey und warmem Wasser und war bereit, sich die beiden Beschwerden vorzunehmen. Der Name auf dem ersten Hefter kam ihm bekannt vor – Derek Fearnside aus Harlden –, aber es war ein Fall vom April, als er im Urlaub gewesen war, daher kam er nicht darauf, weshalb ihm der Name etwas sagen sollte. Dann fiel es ihm wieder ein. Bob Fearnside war einer seiner besten Schulfreunde gewesen, und der hatte einen Bruder namens Derek gehabt. In einer Kleinstadt war die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass es sich um dieselbe Familie handelte.
    Fenwick schlug die Akte auf und betrachtete das dreizehn mal achtzehn Zentimeter große Farbfoto, das am Umschlag festgeklammert war. Eine glückliche Familie war durch eine Mikrosekunde Belichtung für alle Zeiten festgehalten worden. Sein Blick wanderte automatisch zu der Frau, die der Mittelpunkt des Bildes zu sein schien.
    Blond, erstaunlich hübsch, lebhafte blaue Augen, die aus dem Foto herauszuschauen und die Aufmerksamkeit des Betrachters zu fesseln schienen. Ihre Ausstrahlung war buchstäblich atemberaubend, und Fenwick gönnte sich einen Moment das Vergnügen, sie einfach nur anzusehen.
    Er fragte sich, wer die Aufnahme gemacht hatte. Ihr Blick war intim und vertrauensvoll – der Fotograf musste das gespürt und ihre Aufmerksamkeit genossen haben. Fenwick vermutete mit fast übernatürlicher Klarsicht, dass sie mit dem Fotografen bestens bekannt gewesen sein musste und der arme Mann sie nie vergessen würde. War es ihr Ehemann? Aber wer war dann der Mann bei ihr auf dem Bild?
    Die Frau hielt ein Kleinkind auf dem Arm, balancierte es auf einer nach vorn gereckten Hüfte und schützte seinen Nacken mit einem angewinkelten Ellbogen. Das Kind war vielleicht ein Jahr alt, geschlechtslos, schlafend. Ein größeres Kind klammerte sich an ihrem Bein fest. Die Frau hatte ihm die linke Hand zärtlich auf den Kopf gelegt; er sah, wie ihre Finger das kastanienfarbene Haar zausten, ein Augenblick tröstenden Streichelns. Die sanften Augen des Jungen blickten in die Ferne und nahmen den Fotografen gar nicht wahr. Er genoss einen dieser unspektakulären, aber entscheidenden Augenblicke der Kindheit, da Körperwärme, Geruch und solide körperliche Präsenz der Mutter eine Atmosphäre absoluter Geborgenheit und Zufriedenheit erzeugen.
    Mutter, Kind und Baby bildeten eine feste Dreieinigkeit in der Mitte des Bildes. Der Eindruck, den sie hinterließen, war so stark, dass er den Mann an ihrer Seite fast übersah. Er stand etwas abseits der Gruppe, ein stummer Zeuge, wie ein Schafhirt an der Krippe. Er schien der Kamera ausweichen zu wollen. Und er tat Fenwick von Herzen Leid.
    Als er genauer hinsah, erkannte er das Gesicht des Mannes. Es war der Derek Fearnside, den er gekannt hatte. Das Bild rief alte Erinnerungen wach. Er hatte an der Hochzeit teilgenommen; Bob war Trauzeuge gewesen. Diese strahlende – möglicherweise untreue – Mutter war also damals die Braut gewesen. Er konnte sich nicht an ihren Namen erinnern und auch nicht wirklich an das Fest, abgesehen davon, dass es ihm später gelungen war, eine der Brautjungfern zu verführen, was aber auch mehr auf zu viel Champagner als auf seine Verführungskünste zurückzuführen gewesen war.
    Der Zufall, dass er hier auf alte Bekannte stieß, verdrängte seine häuslichen Sorgen für eine Weile. Er legte die Akte Fearnside vorerst beiseite, darum wollte er sich zuletzt kümmern; ein kleiner Trick, damit er bei der Sache blieb. Die nächste Beschwerde betraf das Verhalten der Polizei bei der Schlichtung häuslichen Unfriedens. Mr. Baxter, der eins neunzig große Vater von vier Kindern, beschwerte sich über unnötige körperliche Gewalt seitens der Polizei, die wegen eines Ehekrachs gerufen worden war. Offensichtlich hatte eine eins siebzig

Weitere Kostenlose Bücher