Requiem für eine Sängerin
entspannen konnten. Fenwicks eigener altmodischer Sessel sah höchst verlockend aus, aber das wagte Cooper nicht. Wenigstens würde ihn der Kaffee für die Unbequemlichkeit entschädigen.
Er schlug Fenwicks Ermahnung, sich eine unvoreingenommene Meinung zu bilden, in den Wind und studierte die erste Seite, die mit der vertrauten krakeligen Handschrift des Chief Inspector vollgekritzelt war. Ein Dutzend Fragen standen da aufgelistet, die Hälfte davon dick unterstrichen. Er las die Notizen zweimal langsam und gründlich durch. Danach wandte er sich dem Rest der Akte zu, und sein ohnehin faltiges Gesicht wurde noch runzliger. Als er auch die wenigen verbliebenen Seiten zweimal durchgelesen hatte, war das Stirnrunzeln einem Ausdruck gewichen, den seine Freunde als grimmige Zufriedenheit gedeutet hätten.
Auf die drängendste Frage hatte er eine Antwort bekommen: Fenwick war wieder in alter Form. Wem sonst wäre die harmlose, aber seltsame Verkettung von Zufällen aufgefallen, die aus einer routinemäßigen Vermisstenanzeige eine mögliche Entführung machen sollte?
Noch einmal ging er die Fragen durch. Die Modelagentur bereitete ihm am meisten Kopfzerbrechen – und die Tatsache, dass Deborah Fearnside offenbar ohne das geringste Misstrauen zu einem unbekannten Ziel aufgebrochen war. Und schon überlegte er, wie er routinemäßig Kontakt mit der Agentur aufnehmen würde. Als er Fenwicks Telefonhörer aufnahm, um die Lokalzeitung anzurufen, sah er die krakelige Handschrift auf einer weißen Schreibtischunterlage, die keinen Monat ausreichen würde.
WICHTIGE FRAGEN:
Existiert die Agentur?
Wenn nicht, was steckt hinter der Geschichte? (Hat D. F. alles erfunden? Höchst unwahrscheinlich angesichts seiner Drängelei nach Ermittlungen!)
Handelt es sich um eine Verschwörung?
Um Hausfrauen vom Land nach London zu locken?
Um eine bestimmte Hausfrau nach London zu locken?
Was ist/war so Besonderes an D. F.?
Entführung oder Mord?
Hier?
London?
Er sprach bedächtig eine Nachricht auf den Anrufbeantworter des Archivs der Lokalzeitung (sie fingen dort erst um neun an) und dachte an Blite, den ehrgeizigen jungen Emporkömmling, mehr skrupellos als talentiert, der gerade befördert worden war. Warum war der nicht misstrauisch geworden? Wenn Deborah Fearnside nicht einfach davongelaufen war (die Möglichkeit musste man in Betracht ziehen), war sie auf so geplante Weise entführt worden, dass ihr Verschwinden unverdächtig erscheinen musste.
Fenwick machte auf seinem Rundgang durch das Polizeirevier am Empfang Halt, wo er mit dem Dienst habenden Sergeant plauderte, ehe er seine Nase in das große Büro streckte. Fast alle Schreibtische waren verlassen, auch der, den Detective Inspector Blite nach seiner Beförderung zugeteilt bekommen hatte. Ein Namensschild aus Plastik, Messingimitat, war mit der selbstklebenden Rückseite an der Tür befestigt worden. «Detective Inspector» stand darauf, ebenso sämtliche Initialen Blites, «R. C. A.». Es bestätigte den Eindruck, den Fenwick von dem Mann hatte: Die vollständige Abwesenheit von Geschmack und Stil wurde durch grenzenlosen Ehrgeiz und übersteigerte Geltungssucht wettgemacht.
Fenwick stellte fest, dass er sich glücklich schätzen konnte, sein altes Büro behalten zu haben. Dafür musste er sich bei Superintendent Beckitt bedanken, und dafür, dass dieser ihm Blite vom Hals gehalten hatte. Der Alte war kein Befürworter des neuen Detective Inspector, auch wenn der Assistant Chief Constable ihn noch so sehr unterstützte.
Detective Constable Walters freute sich, Fenwick zu sehen, und erhob sich automatisch, als er eintrat. Fenwick wehrte den Gruß ab, nicht unfreundlich, aber es fiel ihm schwer, mit Sympathiebekundungen umzugehen, und er hatte gelernt, sie abzublocken. Er erkundigte sich nach den jüngsten Autodiebstählen.
«Taylor und Peters sind gerade unterwegs. Drei weitere gestern Nacht», sagte Walters.
Fenwick nahm sich vor, mit den Leuten zu sprechen, sobald sie zurück waren; er brauchte Ergebnisse.
«Sind Sie auf Dauer wieder hier, Sir?»
«Vorerst, Walters, vorerst.» Er ging zur Tür.
«Schön, Sie zu sehen. Einige von uns sind sehr erleichtert, das kann ich Ihnen sagen.»
Fenwick wollte keine Komplimente, die auf politische Winkelzüge hinausliefen. Er hob die Hand zu einem höflichen Abschiedsgruß und ging. Als er zu seinem Büro zurückging, kam Superintendent Beckitts Sekretärin aus ihrem kleinen Vorzimmer gerannt und stellte sich ihm
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