Requiem für eine Sängerin
noch für Aerobic, Kampfsport und ähnlich alberne Aktivitäten des zwanzigsten Jahrhunderts genutzt wurde, über die sich die Gründer der Schule bestenfalls amüsiert hätten.
Er hatte festgestellt, dass die Musikräume lächerlich schlecht gesichert und möglicherweise brandgefährdet waren. Unmittelbar hinter der Eingangstür führte eine steile Treppe zu drei Räumen im ersten Stock, die Chor und Kammerorchester als Probenräume dienten und darüber hinaus für Einzelunterricht genutzt wurden.
Im Erdgeschoss befanden sich drei Räume. In dem rechts vom Eingang stand ein erstaunlich guter Konzertflügel, gestif tet von einem der Gründer der Schule. Links lag unpassend erweise ein Umkleideraum, der von den Sportklassen benutzt wurde und von dem unangenehmen Geruch erfüllt war, der allen Umkleideräumen eigen ist – einer durchdringenden Mischung, die an feuchten Flanell, alte Socken und abgestandene Tomatensuppe aus der Dose erinnerte. An feuchten oder windstillen Tagen drang der Geruch bis ins Musikzimmer vor – und erzwang die Entscheidung zwischen frischer, aber kalter Luft und warmem Gestank.
Wenn sie den Musikbau verließ, trat Kate Johnstone den eine Viertelstunde dauernden Fußmarsch nach Hedgefield Nummer 1 an, einem Haus an der Grenze eines Anfang der achtziger Jahre entstandenen Wohngebiets zwischen der Stadttangente und der ursprünglichen Straße nach London.
Die Routine ihres Alltags war dem Mann, der sie so geduldig beobachtete, bestens bekannt. Die Frage, die sich ihm nun stellte, war schlicht und einfach, wann und wo er sie töten sollte. Während er ihren Nachhauseweg nachzeichnete, lief vor seinem geistigen Auge eine Bildfolge ab. Er hatte bereits entschieden, dass er nach der Schule zur Tat schreiten würde; so würde erst mit Verspätung auffallen, dass sie verschwunden war, und er würde Gelegenheit haben, ihr Haus zu durchsuchen. Wonach, wusste er selbst nicht. Vielleicht verfügte sie über weitere Informationen, die die Schuld seiner letzten Opfer bestätigen oder weitere Einzelheiten über die Tragödie ans Licht bringen konnten.
Der Donnerstag schien am ehesten geeignet. Abgesehen vom Hausmeister, der sein gemütliches Plätzchen neben dem Heizraum nur selten verließ, würde sie wahrscheinlich die Letzte sein, die nach Hause ging. Wenn sie nicht noch auf dem Flügel spielte, was sie zweimal getan hatte, seit er sie beobachtete, schloss sie gegen Viertel vor sechs ab, anderthalb Stunden nach dem regulären Schulschluss. Da war das Volleyballtraining schon vorbei, und Cricket wurde donnerstags nicht gespielt.
Dank seiner peinlich genauen Observierung wusste er, dass er anhand der erlöschenden Lichter im ersten Stock erkennen konnte, wann sie ging. Obwohl der Sommer vor der Tür stand, brauchte sie bei den kleinen Fenstern, die auch noch von Bäumen verschattet waren, auf jeden Fall elektrisches Licht, wenn sie Noten lesen wollte.
Unter den Bäumen versteckt, hatte er gehört, wie sie mit ihren modischen, aber unpraktischen Pumps die Holztreppe herunterstöckelte und noch einmal in die unteren Räume schaute, ehe sie abschloss. Auf der Schwelle verharrte sie, schlüpfte aus den Pumps und zog sich für den Heimweg vernünftige Schuhe an; die anderen verstaute sie in einem Schuhbeutel.
Dann ging sie einen schmalen, zugewucherten Pfad entlang zum Parkplatz der Schule, überquerte die menschenleere Asphaltfläche und verließ das Schulgelände durch das Haupttor an der Rückseite. Auf dieser kurzen Strecke begegnete sie ab und an dem Hausmeister; allerdings wechselten sie selten mehr als ein paar Worte.
Miss Johnstone ging nach links die London Road hinauf, überquerte die Straße an der ersten Ampel gegenüber dem Restaurant White Lion und schlenderte auf dem Elm Drive, der irgendwann zur Copse Lane wurde, nach Norden. Die einzige Variable in ihrer Routine stellte der örtliche Minimarkt dar, Handi-Shopper genannt. Manchmal ging sie hinein und tauchte zehn Minuten später mit einer kleinen Plastiktüte wieder auf, in der sich mehrere rechteckige Dosen befanden. Es gab kein erkennbares Muster für ihre Besuche im Handi-Shopper, daher blieb dieses Element ihrer Routine unberechenbar.
Er war ihr in sicherem Abstand durch die Copse Lane gefolgt. Je weiter nach Norden man kam, desto lauter wurde der Lärm von der Tangente, bis er schließlich zu einem einzigen Motorenheulen anschwoll. Für Touristen war er gerade noch erträglich, und neu Hinzugezogene gewöhnten sich nach wenigen
Weitere Kostenlose Bücher