Requiem für eine Sängerin
klimatisierter, trockener Kälte in die schwüle Wärme des Mittelmeersommers und genoss die wenigen Sekunden reiner, sinnlicher Freude, die alle Reisenden aus dem Norden erfüllt, wenn sie das Gefühl haben, am Ort ihrer Bestimmung zu sein. Wärme auf allen entblößten Hautpartien, Sonnenschein auf dem Kopf, ein einzigartiger Geschmack in der Luft. Dann war es vorbei. Aber die Wärme in seinem Innern verschwand nicht. Wäre er nicht so pragmatisch und beschäftigt gewesen, hätte er Verstand genug gehabt, dieses Gefühl wachsender Vorfreude zu erkennen und sich dagegen zu wappnen. So erkannte er es nicht.
Als er sein Gepäck geholt, dreißig Minuten in der Schlange der Leihwagenfirma gestanden und sich schließlich hoffnungslos verfahren hatte, bedauerte er die Krawatte, die Reise und seine schlechten Fremdsprachenkenntnisse. Er spürte, wie Schweiß seinen Kragen tränkte und von den Achselhöhlen zum Hosenbund lief, während er sich, von der Sonne geblendet, durch den Irrgarten Montpellier quälte. Er hatte mit Anderson vereinbart, dass er sie in ihrem Hotel aufsuchen würde, das eindeutig jenseits seines Spesenbudgets lag. Angesichts der Verzögerungen blieb ihm keine andere Wahl, als direkt (ganz gewiss ein unzutreffender Ausdruck) vom Flughafen dorthin zu fahren.
Er legte die Krawatte ab, kämmte sich, nahm ein noch knitterfreies leichtes Jackett vom Rücksitz und betrat die marmorverkleidete Halle. Die gnadenlose Klimaanlage zwang ihn, sofort das Jackett überzuziehen. Die Gänsehaut, die sich auf seinen Armen und Oberschenkeln bildete, als Octavia Anderson auf ihn zustolziert kam, schrieb er dem Temperatursturz zu.
Etliche Blicke folgten ihr quer durch die Halle. Das offene schwarze Haar umrahmte einen elfenbeinfarbenen, von der Sonne unberührten Teint, der sie deutlich von den Leuten um sie herum abhob. Sie trug einen Hosenanzug aus Seide, den Gürtel lässig um eine fast zu schlanke Taille geschlungen. Fenwick versuchte zu übersehen, dass sie keinen BH anhatte, ebenso die Wirkung der Klimaanlage. Er merkte, dass er trotz der Kälte schwitzte.
Sie suchten sich eine ruhige Ecke unter Palmen. «Einen Drink?» Sie schlüpfte in die Rolle der Gastgeberin und winkte einem Kellner, der bereits darauf brannte, zu ihr zu kommen.
«Ein großes Sodawasser mit Zitrone. Danke, Miss Anderson.»
Eine steile Falte erschien zwischen den dunklen, wohlgeformten Brauen, weil er sie wieder mit ihrem Nachnamen ansprach.
«Zweimal, Nico.»
Schweigend warteten sie. Als die großen Gläser, von denen Kondenswasser perlte, gebracht wurden, ergriff Fenwick die Initiative.
Sie schaute halb fragend, halb keck zu ihm auf und prostete ihm über den Rand ihres Glases hinweg zu. Da sagte er: «Ich bin hier, um über Carol Truman zu sprechen.» Dabei sah er ihr in die Augen.
Schauspielerin hin oder her – ganz konnte sie ihren Schreck nicht verbergen. Ihre Augen weiteten sich, die Unterlippe sank herab, das scharfe Einatmen war trotz der Musik in der Hotelhalle nicht zu überhören. Sodawasser schwappte auf ihre Hand, als sie das Glas auf den Tisch stellte.
Sie beschäftigte sich einen Moment damit, die Flüssigkeit mit einer Serviette aufzutupfen, die ihr der stets zuvorkommende Nico gebracht hatte. Als sie den Kopf hob, hatte sie sich wieder unter Kontrolle; ihr Gesicht war eine Maske höflicher Aufmerksamkeit. Aber sie konnte ihre erste Reaktion nicht ungeschehen machen, und Fenwick sah ihr an, dass sie das wusste. Zum ersten Mal, seit sie sich kannten, hielt sie seinem Blick nicht stand.
«Ich verstehe. Bitte, Andrew, entschuldigen Sie meine alberne Reaktion, aber Sie haben da eine sehr alte und schmerzliche Erinnerung geweckt. Die lange, lange Zeit gänzlich verschollen war.»
«Obwohl Deborah Fearnside und Katherine Johnstone zu Tode gekommen sind?»
«Zu Tode gekommen? Ich dachte, Debbie wird nur vermisst!» Jetzt machte sie keinen Hehl aus ihrer Betroffenheit.
«Ihr Leichnam wurde vor einigen Tagen gefunden. Aber ich frage Sie noch einmal: Haben Sie keinen Zusammenhang zwischen Deborah, Katherine und Carol hergestellt?»
«Nein. Warum sollte ich? Carol starb, als wir noch Schulmädchen waren. Sie war eine gute Freundin von mir, Chief Inspector, aber das ist zwanzig Jahre her. Und Debbie und Kate – der Mord an Kate war schrecklich, ein leibhaftig gewordener Albtraum. Debbies Verschwinden – nun, um ehrlich zu sein, ich dachte, sie wäre weggelaufen.»
Fenwick verspürte einen Anflug von Zorn. Warum waren die
Weitere Kostenlose Bücher