Requiem fuer einen Henker
bitten, sie so zu beantworten, als sei jede vermutete Tatsache längst bewiesen: Wer war Lewandowski wirklich?«
»Der Henker. Er tötete im Auftrag dieses Staates.«
»Das gibt es nicht.« Mir wurde plötzlich ganz flau.
Das erste Mal sah sie mich direkt an. Sie hatte runde, erstaunt blickende Augen. »Ich dachte, Sie hätten das vermutet oder irgendwie geahnt.«
»Nicht einmal im Traum. Und das hat Metzger recherchiert, das war sein Thema?«
»Das war sein Thema. Ich sagte ja, anfangs hat mein Mann ihn für einen Spinner gehalten, aber dann muss er begriffen haben, dass an Metzgers Verdacht erschreckend viel dran war und …«
»Wieso sagen Sie, >er muss begriffen haben Hat er Ihnen das nicht gesagt?«
Sie sagte dumpf: »Wir hatten damals viel Streit, er sagte mir so gut wie nichts.«
»Damals? Was heißt damals?«
»Im Sommer 1989. Er hat mir erst später einiges von der Sache erzählt.« Sie zog mit dem rechten Zeigefinger unsichtbare Linien auf die Tischplatte. »Ich hatte Schuld.«
»Es interessiert mich nicht, wer schuld war, ich will nur wissen, was hinter der Sache steckt. Wollen Sie das nicht erzählen?«
Sie blickte mich immer noch an, sah jetzt aber verletzt aus. »Sie werden noch oft mit mir sprechen müssen, um alles zu verstehen, nicht wahr?«
»Das ist zu erwarten.«
»Und Sie werden die Sache verfolgen? Ich meine, Sie werden nicht kneifen?«
Mir war mulmig zumute. Aber ich zögerte keinen Augenblick. »Nein.«
»Dann müssen Sie meine Geschichte auch kennen, sonst begreifen Sie nicht, warum ich einiges weiß und anderes nicht.« Sie zog wieder wirre Linien auf der Tischplatte. »Mein Mann wollte sich nämlich scheiden lassen. Er war wütend und zornig und irgendwie am Ende. Und da kam Metzger mit seinem Verdacht. Ich weiß, dass Erich sich unter normalen Umständen wahrscheinlich nie in diese Sache verbissen hätte. Eigentlich bin ich schuld, dass Erich sterben musste.«
»Das ist doch völlig abwegig. Außerdem haben Sie sich wieder vertragen, oder? Und das ist das Entscheidende. Ich muss nichts aus Ihrem Privatleben wissen.«
»Sie müssen doch, sonst kapieren Sie es nicht.«
»Also gut, erzählen Sie, was Sie für wichtig halten.«
»Es ist eine ziemlich miese, mittelmäßige Geschichte, wie sie jeden Tag passiert. Ich wollte einfach Spaß haben, ich wollte etwas nachholen, ich habe mein Gehirn vergessen und meine Lebenserfahrung und was weiß ich alles. Im letzten Sommer, als Metzger mit der Lewandowski-Geschichte kam, war ich auf der Höhe meiner Entdeckungsreisen. Ich gab mich feministisch, um mir selbst nicht eingestehen zu müssen, dass ich nichts anderes wollte als möglichst unverbindliche, aufregende Männergeschichten. Die Kinder waren aus dem Haus, mein Mann war völlig überarbeitet, und ich dachte, er wüsste gar nicht mehr, dass er mal eine Frau hatte. Ich war aber wütend, ich wollte leben, verstehen Sie? Ich dachte: Das kann doch nicht alles gewesen sein! Ich hatte schon Zweifel, ob ich als Frau noch etwas taugte. Die Geburt von vier Kindern ist noch keine Leistung. Ich wurde langsam neurotisch, sogar sehr neurotisch. Ich bin also frontal auf die Männer los, habe ihnen jeweils vorgemacht, dass ich sie von Herzen mag. Dabei mochte ich nicht einmal mich. Aber es funktionierte prima, zumindest körperlich, auch wenn ich die meisten der Kerle, mit denen ich etwas hatte, verachtete. Ich fühlte mich großartig oder machte mir das zumindest vor. Ach, ich weiß auch nicht…«
Sie hatte rote Flecken im Gesicht, aber sie wollte weitersprechen. »Als Willi Metzger hier auftauchte mit seinem furchtbaren Verdacht, da ist Erich überhaupt nur eingestiegen, weil er völlig verzweifelt war und nach irgendetwas suchte, das einen Sinn haben konnte. Ich hatte gerade einen Geliebten, der ziemlich anspruchsvoll war. Es war hektisch und chaotisch und schlimm. Während ich glaubte, dass Erich ahnungslos wäre, wusste er längst alles - wirklich alles. Er hat den Atem angehalten und gebetet: Lieber, alter Mann, lass es vorbeigehen! Es war ja auch völlig verrückt, denn ich hatte nicht nur diesen einen Liebhaber, sondern eigentlich drei. Drei, denen ich genauso wenig bedeutete wie sie mir. Ich fühlte mich als emanzipierte Siegerin und war eigentlich nur eine armselige Idiotin.« Sie hatte sich immer noch nicht verziehen. »Und während ich hier einen der drei im Bett hatte, klingelte es, und Metzger stand vor der Tür. Ich wollte ihn abwimmeln, aber er sagte, er sei mit Erich
Weitere Kostenlose Bücher