Requiem: Roman (German Edition)
ich gar nicht, er hat auf dem Parkplatz angehalten. Das würd ich niemals tun, Ronnie, ich schwör’s!«
»Du glaubst also, du bist zu gut für ihn?«
»Lass es bleiben Ronnie, bitte.«
»Er passt zu so einer wie ich, was?«
»Ist es das, was du denkst?«, sagte Pearl, »das nächste Mal lass ich ihn vielleicht ran, dann kannst du mir nicht mehr so was an den Kopf werfen.«
Pearl wollte weggehen, aber Ronnie rief sie zurück, und sie versöhnten sich wieder. Gelegentlich war Ronnie eifersüchtig auf Pearl. Sie bekam diesen Blick, wenn sie sich unbeobachtet fühlte.
»Mit diesem Blick hätte man richtig Geld machen können«, sagte Ronnie.
Pearl sah fremdländisch aus, als stammte sie aus einer weit entfernten Republik. Sie sah aus wie eine dieser Frauen aus Japan, die man in den Nachrichtensendungen sah, hastig trippelnd in Kimonos, die Augen niedergeschlagen.
Johnston befragte Ronnie darüber, wie sie die Halle verlassen hatten. Sie erzählte ihm, dass Pearl mit einem Mann namens Joseph Clydesdale für zehn Minuten die Church Avenue hinaufspaziert sei. In dieser Zeit war Ronnie mit McKnight zusammen gewesen.
»Sie hatten also auch Ihren Spaß, was, Ronnie«, sagte Johnston und zwinkerte komplizenhaft.
Nun legte sich ein verschlagener, erregter Ausdruck in Ronnies Augen. Ronnie wurde von etwas Krassem und Innerlichem, von lustvollen Gefühlen mitgerissen. McCrink hatte diesen Ausdruck früher schon in den Gesichtern Verdächtiger entdeckt, er bedeutete, dass ein Ehemann betrogen worden, einem Liebhaber der Laufpass gegeben worden war. Ein tief verborgener Ausdruck, der gesetzeswidrige Kuppelei verriet, heimliche Vergnügungen, die nachklangen, aber nicht bedauert wurden.
»Wir wissen, dass Sie zusammen mit Pearl, Rae Boyd, Derek Chambers und Evelyn Gamble in Billy Mortons Auto nach Hause gefahren sind«, sagte McCrink. »Haben Sie auf dem Weg nach Damolly Cross irgendjemanden gesehen?«
»Nein«, sagte Ronnie, »aber nachdem wir Pearl abgesetzt hatten und wieder zurückgefahren sind, kam ein Wagen die Straße hoch.«
An diesem Tag wurden keine weiteren Zeugen vernommen. Nach einem Gottesdienst in der Kirche der Presbyterianer sollte Pearls Beerdigung stattfinden. McCrink saß ganz hinten in der Kirche, von wo aus der Gottesdienst kaum zu hören war. Als der Sarg vorbeigetragen wurde, hielt er den Kopf gesenkt, dann blickte er hoch und sah, dass Speers dem Leichenzug mit gebeugtem Haupt folgte. Als der Letzte an ihm vorbei war, stand McCrink auf und schloss sich dem Zug hinaus in den Schatten der Bäume an. Der Leichenzug ging ihm voran, an Grabmälern und schief stehenden Grabsteinen unter den Eiben vorbei, eine geschlossene Prozession.
McCrink fuhr vom Friedhof zurück auf die Wache am Corry Square. Um 5 Uhr verließ er die Wache wieder und ging über die Metallbrücke auf die andere Seite des Kanals. Die Brücke war so gebaut, dass man sie zur Seite schwenken konnte, doch das war schon seit vielen Jahren nicht mehr gemacht worden, die Mechanik funktionierte nicht mehr. Er überquerte den Soho-Parkplatz Richtung Einkaufszentrum und betrat Mervyn Grahams Schustergeschäft. Der Laden roch nach Leder und Gummi, schwere biologische Düfte. Aus dem Hinterzimmer war eine Drehmaschine zu hören. In den Fächern hinter der Theke waren Dutzende von Schuhen, die zusammengehörten, darunter Hunderte alter Schuhe, die niemand abgeholt hatte, ohne Schnürsenkel, brüchig, schrundig. Er erinnerte sich, dass Speers sämtliche Schuhe von Robert ins Labor gesandt hatte, damit das Material, das an ihren Sohlen klebte, analysiert wurde. Sie suchten nach Spuren von Blut, nach Schlamm, Sediment.
Die Drehmaschine hielt an, und Mervyn kam aus dem Hinterzimmer in den Laden.
»In der Stadt macht ein Gerücht die Runde. Ihr sucht nach Roberts Anzug.«
»Wir suchen nach Beweisen, die zu einer Verurteilung führen«, sagte McCrink.
Mervyn nahm einen Frauenschuh von der Theke und strich mit den Fingern über den Spann.
»Frauen sind Weltmeister darin, Absätze abzubrechen oder Nähte zu verschleißen«, sagte er, »es gibt nichts, was sie nicht abnutzen und zerreißen.«
»Dann mögen Sie die Frauen nicht.«
»Ich mag sie schon, außer wenn sie Schuhe schlecht behandeln.«
»Mag Robert Frauen?«
»Sein junges Alter lässt das wohl nicht vermuten. Seine Mutter hat jedenfalls oft genug grundlos die Hand gegen ihren Sohn erhoben. Frauen weht die eigene Unzufriedenheit und Not mal in diese, mal in jene Richtung. Wehe dem
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