Requiem: Roman (German Edition)
Hannah Tailford, auch bekannt als Terry Lynch. Aus dem Aufsagen dieser Namen wurde bald der klare Rhythmus eines Chorals. Das war seine Aufgabe. Die Toten zu befragen. Sie dazu zu bringen, über sich Auskunft zu geben. Immer wieder verspürte er das Bedürfnis, die Orte, an denen die Leichen abgeladen worden waren, aufzusuchen. Orte, die durch die Anwesenheit der ermordeten Mädchen und durch die Tatsache, dass der Mörder dort gewesen war, mit etwas Unheimlichem, mit einer geheimnisvollen Kraft aufgeladen waren. Er spürte die Struktur jedes einzelnen Mordes. Seine finstere Grammatik.
In ihrem innersten Kern herrschte bei den Morden in London dieselbe Stille wie bei dem Mord an Pearl Gamble. Nackt ausgezogen, aber nicht missbraucht. Geschlagen, gewürgt und erstochen, während einer ganz offensichtlich unkontrollierten Attacke. Und doch hatte der Killer keine Spuren am Tatort hinterlassen. Alles deutete auf einen geplanten Mord hin, auf geduldiges und methodisches Vorgehen. Der Mörder hatte sich nicht nur die Mühe gemacht, die Leiche zu verbergen, sondern auch die Mordwaffen zu entfernen – das Instrument, mit dem Pearl erstochen worden war, und den wie auch immer beschaffenen Strick, mit dem man sie erwürgt hatte.
*
Am folgenden Tag fand die erste formelle Vernehmung von McGladdery statt. Anwesend waren Detective Sergeant Johnston, Detective Inspector Speers und der Inspector of Constabulary McCrink. McGladdery bestritt von Anfang an, etwas mit dem Mord an Pearl Gamble zu tun zu haben. Johnston übernahm die Leitung des Verhörs.
»Warum hast du Miss Gamble umgebracht?«
»Ich hab sie nicht umgebracht.«
»Vielleicht kannst du dich nicht dran erinnern. Vielleicht hast du sie in einem Anfall von geistiger Umnachtung getötet.«
»Kein Haar hab ich Pearl gekrümmt. Getanzt hab ich mit ihr, das ist alles.«
»Die Beweise sprechen aber eine andere Sprache.«
»Sie haben von Anfang an beschlossen, dass ich es gewesen bin, soviel zum Thema Beweise. Sie haben sich einen Scheiß bemüht, einen anderen zu finden. Der wirkliche Mörder treibt sich irgendwo da draußen herum und kommt davon.«
»Alle, die beim Tanz waren, sagen, dass du Miss Gamble belästigt hast.«
»Dann lügen sie. Oder sie waren betrunken.« Robert lachte. »Dass die an einem solchen Ort betrunken waren, ist aber nicht sehr wahrscheinlich, stimmt’s, Mr Speers? Das ist eine fromme Horde, nicht wie Sie und ich.«
»Hier drin gibt’s kein Sie und ich, mein Junge.«
»Ach kommen Sie, Mr Speers. Sobald Sie den richtigen Mann erwischt haben, werden wir zwei lachen, wenn wir uns an das hier erinnern. Ich könnte Ihnen helfen, ihn zu finden. Ich kenn mich mit Ermittlungen und der Wissenschaft dahinter aus.«
»Mach mal halblang, McGladdery«, sagte Speers.
»Motiv, Gelegenheit, Mittel, darum geht es doch, nicht? Geben Sie mir nur genug Zeit, dann lös ich den Fall für Sie.«
»Wir haben Bücher bei dir zu Hause gefunden. Perverse Literatur. Hefte. Widerliches Zeug. Wir wissen, was du für einer bist.«
»Ich interessier mich für Anatomie, das ist alles.«
»Ich würd auch sagen, dass du dich für Anatomie interessierst. Was glaubst du wohl, halten die Geschworenen von dem dreckigen Zeug? Was hattest du für eine Beziehung zu der Verstorbenen?«
»Ich und die Verstorbene hatten überhaupt nie so was wie eine Beziehung.«
»Zeugen sagen, dass du sie beim Tanz belästigt hast.«
»Bringen Sie mir diese Zeugen her! Wieso hat sie drei Mal mit mir getanzt, wo ich sie doch belästigt haben soll? Erklären Sie mir das, Detective, Sir.«
»Du bist ein richtiger kleiner Angeber, nicht wahr, McGladdery? Kommst hierher zurück mit lauter modischen Anzügen aus London. Also, wo ist der Anzug, den du in der Nacht getragen hast?«
»Sie haben den Anzug. Den dunklen Anzug.«
»Jeder, der bei dem Tanz war, sagt, dass du einen hellen Anzug anhattest und eine beige Windjacke. Wo ist die?«
»Nehmen wir mal an, ich hatte eine solche Jacke an«, sagte Robert, »ich sag nicht, dass das stimmt. Geben Sie mir sechsunddreißig Stunden, und ich ruf Sie an und erzähl Ihnen, wo sie die Jacke finden.«
Robert lehnte sich auf seinem Stuhl nach vorn. Er lächelte Johnston an. McCrink fragte sich, was wohl in seinem Kopf vorging, was ihn so ungerührt und ihn Ironie, die niemand sonst wahrnahm, in der Situation sehen ließ.
»Was spielst du für Spielchen?«, fragte Johnston, »wo sind die Windjacke und der Anzug?«
»Du hast nicht gekriegt, was du
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