Requiem: Roman (German Edition)
Ich möchte mich lieber nicht darüber auslassen. Diese ganze Sippe.«
»Seine Familie?«
»Von seiner Familie sind alle verstorben. Sie sind dort oben auf einem Friedhof beigesetzt. Sein Vater und sein Bruder haben ihn auf dem Pferd hinuntergebracht und bar bezahlt, damit er die Royal School besuchen konnte.«
McCrink stellte sich die Currans vor, Vater und Sohn, die gemeinsam die verwünschten Hügel hinuntergeritten waren, um das Geld bar auf den Tisch zu legen.
»Sie sind aus den Hügeln gekommen und dann zurückgeritten und nie mehr von dort weg. In der Nacht, in der meine Tochter starb, war mein Mann am Telefon«, sagte Doris.
Schon wieder das Telefon, dachte McCrink, sie redet immer über das Telefon. Es war das erste Mal, dass sie die Nacht von Patricias Tod direkt ansprach.
»Patricia war eigensinnig«, sagte Doris, »sogar Lance dachte, sie sei eigensinnig.«
»Was ist passiert?«, fragte McCrink.
»Ich weiß nicht, wie sie nach draußen gekommen ist«, sagte Doris, »sie war im Haus, dann war sie plötzlich draußen im Regen. Lance war am Telefon.«
»Und wo waren Sie?«
McCrink stellte sich das Haus der Currans in der Nacht des Mordes vor, hörte das Geräusch rennender Füße, von draußen Schreie aus dem Dunkeln, das Rauschen der Bäume im Nachtwind.
»Lance wusste es«, sagte Doris.
McCrink fixierte sie und versuchte, ihrer wirren Erzählung einen Sinn zu geben, die Struktur zu erkennen, die sie zusammenhielt. Doris erinnerte an eine schnatternde, vom Alter gebeugte Seherin, die getrocknete Kräuter ins Feuer schleudert, um Visionen heraufzubeschwören.
»Er wusste was?«
McCrink war bewusst, dass er sich der Szene hingab, ähnlich einem Bittsteller, der von alter Magie Gebrauch machen will.
»Er führte mich in die Vorratskammer«, flüsterte Doris, »dann war er für lange Zeit weg. Ich hörte, wie er Patricias Freund anrief, um ihn zu fragen, ob er Patricia gesehen habe. Aber er wusste, dass sie tot war, als er anrief. Er hat gelogen.«
»Weil er fragte, wo Patricia ist, nachdem er bereits wusste, dass sie tot war?«
»Er hat gelogen. Glauben Sie mir nicht?«
Doris’ Tonfall änderte sich, wurde zänkisch.
»Überzeugen Sie sich selbst, wenn Sie mir nicht glauben«, sagte sie, »gehen Sie in den oberen Stock des Hauses. Er versteckte die Aufzeichnungen der Anrufe im Haus. Dort sind sie. In einer Schachtel im Zimmer des Dienstmädchens. Wo bleibt bloß diese Krankenschwester?«
Eine Krankenschwester trat durch die Tür und rief nach Doris. Doris stand auf und griff nach McCrinks Hand.
»Wie nett von Ihnen, dass Sie gekommen sind«, sagte sie, »bitte kommen Sie wieder. Meine Kinder besuchen mich nicht. Sie sind rücksichtslos.«
McCrink nickte. Er wies nicht darauf hin, dass Desmond in Südafrika war und Patricia seit neun Jahren in ihrem Grab lag. Er schaute zu, wie die Schwester Doris wegführte, diese schmächtige, schlurfende Gestalt. Die Krankenschwester trug das Tablett mit dem billigen Schmuck und den Figürchen. Sie erzählte McCrink, dass Doris das Tablett normalerweise in ihrem Zimmer aufbewahre. Sie schien das offenbar für normal zu halten. Sie verstand den Wert von Andenken, den Reiz von Amuletten gegen die innere Finsternis. McCrink sagte nichts. Er dachte darüber nach, wie Doris in die Vorratskammer von The Glen eingesperrt war, während Lance Curran die Fäden dieser schrecklichen Nacht verknüpfte. Doris, die in der Dunkelheit stand, die nach Reinigungsmitteln und Chemie roch. Der Geruch von Daz und Omo. Wie sie die sonderbare Mechanik der Geschehnisse spürte, ihre Chemie.
Neunzehn
R obert McGladderys Prozess im Mordfall Pearl Gamble begann am 9. Oktober mit der Herbstsitzung des Assize, des nordirischen Geschworenengerichts, in Downpatrick. Es waren Reporter aller großen nationalen und regionalen Zeitungen anwesend. Als Robert nach seinem Namen gefragt wurde, sprach er mit »lauter, klarer Stimme«. Er trug einen »dunklen Anzug, ein helles Hemd und Krawatte«.
McCrink saß auf dem öffentlichen Publikumsrang. Er konnte Agnes McGladdery in den oberen Reihen des Balkons sehen, Margaret saß einige Reihen von ihr entfernt, Ronnie unterhalb von ihr.
Der erste Verhandlungsmorgen galt Zeugenaussagen, die die Entdeckung von Pearls Leiche betrafen. Der sechzehnjährige Charles Ashe bezeugte, dass er bei Damolly Cross einen grünen Knopf, einen braunen Schuh und ein blutdurchtränktes Stofftaschentuch gefunden hatte, als er Windhunde spazieren führte. Er
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