Requiem
gehört hat, dass Frank verschwunden ist.«
»Gibt es denn kein Phantombild vom Mörder? Das könnte man Rosenberg doch zeigen. Oder dem Orchestervorstand. Die müssten den doch wiedererkennen, wenn es jemand von ihren Leuten ist.«
»Leider nein. Die beiden Stadionwächter können sich gerade noch an seine Kleidung erinnern. Sie sagen, sein Gesicht hätten sie unter der Schirmmütze nicht gesehen. Das gleiche Problem herrscht bei den Videoaufzeichnungen. Der Mörder hat es anscheinend bewusst vermieden hochzuschauen, damit ihn die Kameras nicht identifizieren können. Wir wissen nicht mal, wo er gesessen hat. Einen falschen Clubfan unter 35 000 echten ausfindig zu machen, ist schwieriger als die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Die sieht wenigstens noch anders aus, aber wir suchen ja einen Halm im Heuhaufen.«
Ekki schlürfte seinen Kaffee, der jetzt so weit abgekühlt war, dass er sich trinken ließ. Anne stand auf und streckte ihre Glieder. Sie sah aus dem Fenster und blickte tatsächlich auf einen Fanshop des 1. FCN hinunter, dessen Schaufenster mit schwarzroter Bettwäsche im Clubberer-Design warb.
»Das wäre alles nicht passiert«, sagte sie mit dem Rücken zu Ekki, »wenn eure Bodyguards besser auf diesen Neonazi aufgepasst hätten.«
»Es ist schwer, jemanden zu beschützen, der seine Leibwächter abschütteln will. Tronka ist nur einmal quer durch den Karstadt gestiefelt, am Hinterausgang wartete ein Kumpel mit einem Motorrad, er sprang auf, und weg waren die beiden.«
»Warum habe ich Frank auch unbedingt mit ins Stadion schleppen müssen? Er hatte überhaupt keine Lust mitzukommen, aber ich war ganz versessen darauf. Ich werde mir das nie verzeihen, wenn …« Sie schluckte.
Ekki ging zu Anne ans Fenster und berührte sie sanft an der Schulter.
»Es hat doch keinen Sinn, sich Vorwürfe zu machen.«
»Glaubst du, dass Frank noch eine Chance hat?«, fragte sie leise, ohne ihn anzusehen.
»Ich weigere mich, etwas anderes zu denken.«
Sie drehte sich zu Ekki um und lächelte schwach. »Das ist so ein Moment, in dem man zum Raucher werden könnte. Hast du eine Zigarette?«
»Na hör mal, ich laufe Marathon, da rauche ich doch nicht! Aber wenn du unbedingt eine haben willst, einer von den Soko-Mitarbeitern nebenan wird dir schon eine geben. Ich glaube aber nicht, dass Frank das gutheißen würde.«
Am Ende des Ganges brach plötzlicher Jubel aus. Anne und Ekki eilten auf den Flur, und überall streckten übermüdete Beamte ihre Köpfe aus den Büros. Die Tür des Konferenzraums wurde aufgerissen und ein Mann kam faxschwenkend heraus. »Wir haben ihn!«, rief er. »Alle sofort zusammenkommen! Teamsitzung.«
Mit der Journalistin und dem Justizsprecher drängten sich 17 Männer und fünf Frauen in den Konferenzraum. Nicht alle fanden einen Sitzplatz. Der neue Soko-Leiter, Andreas Arnold, ein großer muskulöser Mann mit kahlrasiertem Schädel und schwarzem Kinnbart, machte keine überflüssigen Worte und legte sofort los.
»Unser Mann heißt Tariq Karim. Er ist Geiger bei den Nürnberger Symphonikern. Ein deutscher Staatsbürger libanesischer Abstammung. Er kam Anfang der 90er Jahre als Asylbewerber aus dem Libanon nach Deutschland. Anscheinend gehört er zur katholischen Minderheit der Maroniten und hat seine ganze Familie in dem Bürgerkrieg dort verloren. Er ist erst seit dieser Spielzeit bei den Symphonikern beschäftigt, davor hatte er längere Engagements in Kaiserslautern und Darmstadt.«
»Klingt nicht gerade nach einem notorischen Nazihasser«, flüsterte Ekki Anne zu.
»Was meinen Sie, Herr Ertl?« Der Soko-Leiter sprach ihn demonstrativ an. Anscheinend war er Störungen dieser Art nicht gewohnt.
»Ich sagte, dieser Musiker scheint mir kein typischer Neonazigegner zu sein.«
»Auf den ersten Blick sieht das tatsächlich so aus. Er gilt als jemand, der sich gut in dieses Land integriert hat, auch wenn er allein lebt und ein Einzelgänger sein soll. Aber dann ist Kollegin Köhler etwas aufgefallen.« Er nickte wohlwollend zu einer seiner Mitarbeiterinnen hinüber. »Sie fragte sich, wieso Karim zwei Jahre nach Ende des Bürgerkriegs im Libanon hier ein Bleiberecht erhielt, obwohl doch der Grund seines Asylgesuchs, nämlich die politische Verfolgung in seiner Heimat, nicht mehr gegeben war. Sie forschte bei den zuständigen Stellen im Bundesamt nach und konnte gerade seine Akte studieren. Tariq Karim stand tatsächlich kurz vor der Abschiebung. Er war in einem Asylbewerberheim
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