Requiem
ausstieg und tankte – er nahm sich sehr viel Zeit für die knapp sieben Liter Benzin, die in den fast vollen Tank noch hineingingen –, rutschte der Soko-Leiter auf den Fahrersitz. Auch Anne rückte näher an Ekki heran, um besser aus seinem Seitenfenster hinaussehen zu können. Das Haus, in dem der mutmaßliche Mörder wohnte, erhob sich direkt auf der anderen Seite der vierspurigen Straße. Anne kannte es vom Sehen, hatte ihm aber noch nie große Beachtung geschenkt. Es war ein grau verputzter Wohnblock, vermutlich aus den 70er Jahren. Ein Dutzendhaus, Marke sozialer Wohnungsbau, wie man sie an vielen Stellen in der Stadt finden konnte. Dieses hier war durch dunkelblaue Kunststoffplatten unterhalb der Fenster optisch ein wenig aufgehübscht worden. Anne zählte acht Stockwerke. Im Erdgeschoss befand sich ein Computerladen mit einer Paketannahmestelle. Darüber lagen die wohl eher kleinen Wohnungen, denn es gab vier Balkone pro Stockwerk, und auf beinahe jedem war eine Satellitenschüssel angebracht.
»Alles dunkel. Der ganze Wohnblock scheint zu schlafen«, sagte Ekki.
»Ja. Ich denke, wir können den Versuch wagen, uns das Haus einmal näher anzusehen.« Andreas Arnold schaute zu Anne auf dem Rücksitz. »Haben Sie die schusssichere Weste angezogen, die man Ihnen gegeben hat?«
Sie nickte ernst. Das Ding war gar nicht so schwer, wie sie gedacht hatte, aber es drückte ihre Brüste zusammen.
»Da Sie sich hier doch so gut auskennen: Trauen Sie sich zu, mich zu begleiten? Außerdem ist ein nächtliches Paar, das von einer späten Party heimkehrt, unauffälliger als ein einzelner herumstreunender Mann. Aber ich möchte Sie zu nichts zwingen.«
»Ich habe keine Angst, wenn Sie das meinen.« Ihre Stimme klang rau vor Müdigkeit.
Der Soko-Leiter lächelte sie an. »Wenn ich das denken würde, hätte ich Sie nicht darum gebeten.« Er schnappte sich das Sprechfunkgerät und ließ die wartenden Autos wissen: »Frau Kamlin und ich erkunden das Objekt etwas näher. Ich melde mich in fünf Minuten wieder.«
Er stieg aus, ging ums Auto herum und gab dem Fahrer Anweisung, gleich rechts vor dem Einkaufszentrum abzubiegen und auf sie zu warten, sowie er außer Sichtweite des Wohnhauses war. Dann öffnete er die hintere Wagentür und ließ Anne aussteigen. Er bot ihr den Arm und sie hakte sich bei ihm ein. Gemeinsam gingen sie von der Tankstelle zu dem nahen Zebrastreifen. Sie ließen die schwarze Limousine passieren, überquerten die Fahrbahn und blieben auf der anderen Seite vor einer Apotheke stehen. Der Soko-Leiter drehte sich um und schaute zurück.
»Was suchen Sie da?«, wollte Anne wissen.
»Ich überlege mir, wo ich die Präzisionsschützen postiere. Das kann man immer erst vor Ort genau festlegen. Leider sind die Gebäude drüben alle niedriger. Aber da Karim im vierten Stock wohnt, müsste es ausreichen. Sollen wir weiter?«
Anne hängte sich wieder bei ihm ein. Sie war aufgeregt, fühlte sich aber sicher an seiner Seite. Die beiden spazierten auf dem Bürgersteig auf das Haus zu und schritten es einmal der Länge nach ab. Hier gab es nur den Eingang zum Geschäft, die Zugänge zu den Wohnungen mussten auf der Rückseite sein. Durch einen Torbogen gelangten sie auf den ersten Hinterhof. Der wurde von einer Laterne schwach beleuchtet und von einer schrägen Abfahrt in die Tiefgarage dominiert. Daran anschließend lag eine kleine Rasenfläche, auf der ein paar Sträucher wuchsen, links begannen schon die Vorgärten des nächsten Wohnblocks. Anne zog ihren Begleiter über den gepflasterten Weg in den zweiten Hinterhof. Hier gab es eine große Fläche mit vielen Parkplätzen, von denen einige noch frei waren. Dahinter erhoben sich dunkle Tannen und zwei Birken. Vor zwei Müllcontainern, die in halboffenen Boxen aus Waschbeton standen, blieben sie stehen. Ob der Anblick dieses massiven Sichtschutzes nun schöner war als die direkte Sicht auf die Container, ließ sich bezweifeln.
Anne schaute Arnold erwartungsvoll an. »Was meinen Sie dazu?«
»Ein guter Platz. Karim kann ihn von seiner Wohnung aus nicht einsehen. Ich werde einen Teil unserer Einsatzfahrzeuge hier postieren.«
Zufrieden kehrten sie in den ersten Hinterhof zurück und musterten die Rückseite des Wohnhauses. Es gab drei Eingänge: einen seitlich am Torbogen, zwei zum Hinterhof. Der mittlere trug die Nummer 57a. Auch auf dieser Seite brannte hinter keinem der Fenster Licht. Annes Blicke wanderten automatisch hoch zur vierten Etage.
»Glauben
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