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Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
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Ende des Ganges in eine Herrentoilette, die leer war. Er mochte dort in seiner Kabine einige Minuten gesessen haben, als zwei Männer eintraten, sich nebeneinander ans Pissoir stellten und sich dabei lautstark unterhielten.
    »Das gibt einen Freispruch erster Güte, sag ich dir«, prognostizierte der eine Möchtegernjurist das Ende des Prozesses.
    »Und was der Heinrich sich alles traut zu sagen. Der zeigt es denen mal so richtig«, bestätigte der andere.
    Offenbar waren das zwei von Gessners jungen Gefolgsleuten.
    »Hast du das Gesicht des Richters gesehen, als Heinrich ihn über die Machenschaften des US-israelischen Weltkapitalismus aufgeklärt hat?« Beide lachten.
    »Ja, der war richtig sauer. Aber er hat nicht gewagt, etwas dagegen zu sagen.«
    »Weil’s halt wahr ist.«
    Beaufort hörte, wie zwei Reißverschlüsse hochgezogen wurden und die Spülung kurz rauschte. Die beiden wuschen sich bestimmt nicht die Hände, war er sich sicher. Doch dann belehrten ihn die Geräusche an den Waschbecken eines besseren. In dem Moment betrat auch Gessner die Toilette. Beaufort bekam mit, wie die beiden jungen Neonazis ihren Mentor für seinen Mut lobten, und hörte dabei Schulterklopfen.
    »Wenn ich euch sehe, wird mir nicht bang um die Zukunft unser glorreichen nordischen Rasse«, sagte Gessner markig, und schließlich, von seinem eigenen Pathos ergriffen: »Seid in eurem politischen Kampf heute genauso mutig wie die deutschen Soldaten vor Stalingrad damals, die in den Schützengräben unsere Heimat vor dem Bolschewismus verteidigt haben.«
    Beaufort hätte kotzen können. Was für ein Geschichtsklitterer! Als er aus der Kabine trat, waren die beiden jungen Kerle verschwunden, aber Gessner stand mit dem Rücken zu ihm am Pissoir.
    »Soweit ich mich erinnere, waren es die Deutschen, die Russland angegriffen haben und nicht umgekehrt«, sagte er scharf.
    Abrupt drehte Gessner sich nach ihm um, wobei er die Kontrolle über seine Ausscheidung verlor und sich ein Teil des Mittelstrahlurins auf seinen rechten Wildlederschuh ergoss.
    »Verdammte Scheiße!«, brüllte er sauer, »haben Sie mich erschreckt.«
    »Nein, Pisse.« Gessner sah ihn mit großen Augen an. »Es muss korrekt ›verdammte Pisse‹ heißen«, sagte Beaufort milde und deutete auf die dunklen Flecken auf dem Schuh. »Aber Sie neigen ja auch sonst dazu, Tatsachen zu verdrehen.«
    Gessner schnaubte verächtlich, zog den Hosenlatz hoch und sah arrogant zu Beaufort auf. »Was sind denn Sie für einer?«
    »Einer, der Ihr Geschwätz nicht länger ertragen kann. Sie glauben tatsächlich, dass Hitlerdeutschland der halben Welt den Krieg erklärt hat, war die Schuld der Juden?«
    Das war genau das Stichwort, um Gessner wieder ins Fahrwasser zu bringen. Er holte tief Luft und dozierte über die bis heute andauernde Verschwörung des Weltjudentums. Durch keinen von Beauforts Einwänden ließ er sich in seinem immer lauter werdenden Monolog stören, bis dieser auf gut Glück einen provozierenden Pfeil gegen ihn abschoss.
    »Sie sind ein unverbesserlicher Dummschwätzer. Aber Sebastians Leiche in der Ehrenhalle so hinzulegen, dass alle Welt glaubt, ihr Braunen seid Opfer und nicht Täter, das war wirklich clever.«
    Gessner blieb einem Moment der Mund offen stehen. Dann sah er ihn hasserfüllt an, beugte seinen Oberkörper blitzschnell vor und ging mit einem Wutschrei wie ein Rugby-Spieler auf ihn los. Der Angriff kam so überraschend, dass Beaufort ihn nicht mehr parieren konnte und durch den Aufprall von Gessners Schulter gegen seine Brust nach hinten geschleudert wurde. Er wäre der Länge nach hingeschlagen, wenn nicht in dem Moment zwei Neonazis in die Toilette gestürmt wären und ihn aufgefangen hätten. Das darauf folgende Handgemenge dauerte nur kurz. Der schrille Pfiff einer Trillerpfeife zerschnitt den Radau, und mehrere Polizisten stürzten herein. Auf dem engen Raum versuchten sie die Streithähne zu trennen.
    »Das wirst du noch bereuen«, drohte ihm ein junger Neonazi, ehe er von einem Uniformierten weggezogen wurde. Er trug einen blondierten Kurzhaarschnitt, und sein Gesicht war ebenso rot vor Zorn und Anstrengung wie die rote 88 auf seinem schwarzen Sweatshirt.
     
    *
     
    »Sag mal, bist du jetzt völlig übergeschnappt? Dich mit Rechtsextremen zu prügeln! Und das auch noch hier im Gericht! Ich fass’ es nicht!«
    Ekkehard Ertl lief mit nahezu derselben Gesichtsfärbung wie der weißblonde Neonazi eben hinter seinem Schreibtisch auf und ab. Seine

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