Requiem
dich nicht mit Gessner an. Der ist kein kleiner Fisch in dem Verein. Seitdem Katja über die rechte Szene berichtet, ist ihr Foto schon mehrfach mit einer Art Steckbrief im Netz aufgetaucht. Sie musste sich auch schon eine neue Telefonnummer geben lassen, weil sie einige fiese Anrufe bekam.«
»Keine Sorge, die kennen ja nicht mal meinen Namen.«
»Und was ist, wenn dir jemand aus Gessners Jugendfreizeittruppe nach Hause gefolgt ist?«
»Das hätte ich bestimmt bemerkt«, sagte Beaufort sicherer, als er es eigentlich war.
»Hoffentlich hast du recht. Was gibt es denn Neues von unserem toten Neonazi? Hat Ekki noch was rausgelassen?«
»Die tappen im Dunkeln. Der Regen hat im Umfeld der Ehrenhalle alle Spuren beseitigt.«
»Und konntest du erfahren, wie dieser Sebastian seinen letzten Tag im Leben verbracht hat?«
»Leider nicht. In diesem Punkt war Ekki besonders zugeknöpft. Aber ich vermute wirklich, er hat mit ein paar Kumpels Führers Geburtstag gefeiert. Wahrscheinlich irgendwo in einem Nazitreff in oder um Nürnberg. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Mörder ihn in Baiersdorf getötet hat und dann 40 Kilometer mit der Leiche im Kofferraum durch die Gegend gefahren ist.«
Anne protestierte. »Und was ist mit der schönen Theorie, dass es die Neonazis selber waren?«
»Ekki sagt, es herrscht erhöhte Nervosität in der Szene. Das spricht nicht gerade für ihr Mitwirken. Aber das müssen wir doch nicht alles am Telefon besprechen. Kommst du nachher zum Essen?«
Sie zögerte. »Ich glaube nicht. Ich bin hier in der Redaktion noch mindestens zwei Stunden beschäftigt. Und danach will ich schwimmen gehen. Oder hast du Lust mitzukommen?« Anne wusste seine Antwort im Voraus.
»Die Chance, dich im Bikini zu sehen, ist natürlich verlockend, aber ich mag keine Hallenbäder.«
Er mochte auch keine Freibäder, sondern eigentlich nur das Fränkische Seenland oder das richtige Meer. Aber immerhin verteilte er seine Körbe charmant, dachte sie.
»Ich schätze, du kommst nach dem Schwimmen nicht noch zu mir?«, fuhr er fort. Diesmal war es Beaufort, der Annes Antwort schon kannte.
»Nein, ich gehe heute mal früher schlafen. Wenn ich bei dir übernachte, sind die Nächte immer so kurz.« Er konnte an ihrer Stimme hören, dass sie lächelte und an gestern Abend dachte.
»Das liegt ja wohl nicht nur an mir«, sagte er zärtlich. »Dann sehen wir uns aber morgen?«
»Das glaube ich kaum. Oder hast du vergessen, dass morgen Mittwoch ist?«
Mittwochs traf sich Beaufort regelmäßig mit Ertl zum Abendessen, und Anne hatte ihren Yoga-Kurs.
»Schade.« Beaufort klang enttäuscht. »Ekki hatte ich ja schon zweimal diese Woche. Ich würde den Abend viel lieber mit dir verbringen.«
»Das ist lieb, aber die Woche hat doch noch ein paar Abende übrig.«
»An denen du noch einige Termine hast, wenn ich dich erinnern darf.« Beaufort biss trotzig in den Streuselkuchen.
»Möchtest du heute nicht vielleicht doch mit mir schwimmen gehen?«
Beaufort schwieg und kaute.
»Ich meine, es könnte dir ja nichts schaden.«
»Gamf falfe Pakpik«, sagte er und goss sich vom Marsala ein. »Ganz falsche Taktik«, wiederholte er.
*
»Herr, gib ihnen die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihnen.«
Er sah auf und betrachtete wehmütig die gerahmte Fotografie mit der lächelnden Frau und dem ernst in die Kamera schauenden Mädchen. Es war ihm ein Trost, die beiden ganz sicher zur Rechten Gottes sitzen zu wissen. Er löste die gefalteten Hände, stützte sie kurz am Boden ab und erhob sich geschmeidig. Einen Moment verharrte er still. In der Wohnung über sich hörte er die Toilettenspülung rauschen. Schließlich fasste er den Bilderrahmen, führte ihn an seine Lippen und küsste die Fotografie von Mutter und Schwester.
»Oh Gott, Dir gebührt ein Loblied in Zion, Dir erfülle man sein Gelübde in Jerusalem. Erhöre mein Gebet, zur Dir kommt alles Fleisch.«
Sanft stellte er das Bild wieder auf die Kommode. Dann beugte er sich hinab und blies die Kerze aus. Er trat ans Fenster. Draußen herrschte Dämmerung, das weiche Licht des Abends. Jetzt nicht milde werden und sentimental. Er hatte einen Schwur getan. Wenn er den Plan weiter ausführen wollte, musste er hart sein. Sehr hart. Und ruhigen Blutes.
»Herr, gib ihnen die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihnen.«
Er streckte die Arme aus und legte die Hände um die Querstange im Türrahmen. Nachdem er 20 Klimmzüge gemacht hatte, ließ er sich wie ein
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