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Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
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und verhalten freundlicher Applaus schwappte durch den Zuschauerraum der Nürnberger Staatsoper. Er ebbte aber schnell wieder ab, denn das Premierenpublikum zog es zu den Sektkelchen und Kanapees. Anne und Frank blieben auf ihren Plätzen in der Mitte des Parketts noch ein wenig sitzen.
    »Und wie gefällt dir dein erster Lohengrin ?«, fragte Beaufort gespannt.
    »Ganz gut eigentlich, bis jetzt. Die Musik ist okay.«
    »Okay? Das ist mit das Beste, was das Musiktheater des 19. Jahrhunderts zu bieten hat! Gut, es gibt noch genialere Wagner-Opern, aber allein das Vorspiel ist doch zum Gänsehautkriegen. Diese zart-ätherische Klangwolke, auf der die Oper daherkommt, die hohen Geigen im schimmernden A-Dur, dieses langsame Anschwellen und Abschwellen, das ist reiner Sex! Komm schon, Anne, ich hab doch gespürt, dass das nicht spurlos an dir vorübergegangen ist.«
    Die Journalistin liebte Beauforts Begeisterungsfähigkeit, denn er war ein Wagner-Enthusiast, aber kein Wagnerianer.
    »Ja, es stimmt schon, dass diese Musik etwas mit einem anstellt, wenn man sich drauf einlässt. Selbst wenn ich mir vor Augen halte, dass Wagner ein schlimmer Antisemit war, wirkt diese Musik sehr emotional auf mich. Aber mal ganz ehrlich: Diese Lohengrin-Story ist ja sowas von an den Haaren herbeigezogen. Elsa phantasiert sich einen Traummann, und in der größten Not kommt dann tatsächlich ein unbekannter Ritter auf einem Schwan daher, sie schwören sich sofort ewige Liebe, und schon kämpft er für sie auf Leben und Tod.«
    Beaufort lachte. »Glaubst du nicht an Liebe auf den ersten Blick? Das ist ein Märchen, Romantik pur. Und es ist alles drin, was eine Oper braucht: eine schöne Frau, ein edler Held, eine tödliche Intrige, ein Zweikampf, Macht, Lüge, Gefahr, Liebe – und das alles schon im ersten Akt.«
    Die beiden erhoben sich und gingen langsam durch die samtrot gepolsterten Sitzreihen. Anne zupfte ihr enganliegendes schwarzes Kleid am Po zurecht und Beaufort knöpfte seine Smokingjacke zu.
    »Elsa steht eigentlich nur dumm rum, sieht gut aus und ist Objekt. Wie ihr Zukünftiger heißt, will er ihr nicht verraten, und sie sagt zu allem Ja und Amen. Also, ein Frauenbild ist das ...« Anne schüttelte den Kopf.
    »Natürlich ist das Frauenbild antiquiert, aber so war es nun mal vor 150 Jahren, als die Oper entstand. Und erst recht war das so im Mittelalter, und da spielt der Lohengrin schließlich. Sollen wir in den Gluck-Saal hochgehen?«
    Frank strich zärtlich über Annes nackten Rücken, von dem ein raffinierter Ausschnitt viel Haut preisgab.
    »Da können wir in der nächsten Pause auch noch hin. Ich möchte gern ein wenig an die frische Luft.«
    Beaufort war auch das recht. Da es draußen kalt war, holte er ihre Jacken von der Garderobiere. Im unteren Foyer hallten die Stimmen etlicher Premierenbesucher durch den Raum. Von der feierlichen Grundierung der schwarzen Herrenanzüge hoben sich die farbenfrohen Roben der Damen aufs Schönste ab: violettes Chiffon, smaragdgrüne Seide, taubenblauer Satin, pfirsichfarbener Samt. Das alles in mehr oder weniger gewagten, nicht immer ganz vorteilhaften Schnitten. Die größte Aufmerksamkeit erregte eine rosa Wolke aus viel Taft und Tüll mit aufgenähten Strasssteinchen und glitzernden Pailletten. Dazu trug die Dame rosa Pumps mit applizierten Puschelchen, eine flamingofederfarbene Boa und lange künstliche Fingernägel in zehn unterschiedlichen Rosa-Tönen. Selbst das auftoupierte Haar glänzte mit rosa Schimmer. Es war ein einziger Kleinmädchentraum, den Anne und Frank da erblickten, nur dass sich eine üppige Seniorin in ihn hineingezwängt hatte. Die beiden mussten an sich halten, um nicht laut loszuprusten, und da waren sie nicht die Einzigen.
    »Du ahnst gar nicht, wie teuer es ist, so billig auszusehen«, raunte Anne ihm ins Ohr.
    Beaufort stellte sich an der Schlange vor der Bar an, während sie schon mal ins Freie hinausging. Als er mit zwei Champagnergläsern in den Händen die Marmortreppen des Vorplatzes hinabschritt und nach Anne Ausschau hielt, sah er sie lachend bei einem bärtigen Mann mit längeren Haaren stehen. Es war ein Rundfunkkollege von Anne, der häufiger Premierenkritiken für Bayern 4 Klassik verfasste.
    »Ihr scheint euch ja prächtig zu amüsieren«, sagte Beaufort trocken, nickte dem Kritiker zu und reichte Anne ein Glas.
    »Ich werde gerade von Dirk mit Anti-Wagner-Bonmots versorgt. Weißt du, was Rossini über Wagners Musik gesagt hat? Wagner hat

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