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Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
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eilte ihm nach und klopfte besorgt auf seinen Rücken. »Alles in Ordnung?«, fragte sie. »So umwerfend neu ist diese Verbindung zwischen Wagner und Hitler ja nicht, dass du deshalb deine Limonade verschlabbern musst.«
    Beaufort richtete sich wieder auf und betupfte mit einem Taschentuch die feuchten Flecken auf seinem Revers. »Es ist doch nicht deshalb«, schnaufte er. »Ich habe nur gerade jemanden gesehen.«
    »Wen?« Anne stellte sich aufrecht wie ein Leuchtturm in das Gewühl und ließ ihre Augenscheinwerfer neugierig kreisen.
    »Nicht so auffällig!« Beaufort zog Anne wieder hinter den Pfeiler zurück. »Ich zeig ihn dir. Siehst du den großen Mann dort hinten an dem Stehtischchen? Gleich rechts neben der Fregatte in dem lila Kleid?«
    Anne schaute in die beschriebene Richtung. »Das ist doch dieser schrecklich eingebildete Typ von der Bio-Fach. Und er trägt einen Zweireiher. Sind die jetzt wieder modern?«
    »Sie sind im Kommen, seit Prinz Charles zum bestgekleideten Mann der Welt gekürt wurde – und der trägt nur Zweireiher. Aber erkennst du die beiden Kerle nicht, mit denen Markgraf spricht?«
    Anne fixierte zwei ältere Herren in Smokings. Der Größere von ihnen trug dazu ein extravagantes Rüschenhemd, der Kleinere hatte ein dezenteres Hemd an, dafür aber eine knallrote Bauchbinde und eine farblich dazu passende Fliege umgebunden »Zwei schwule Opernfreaks. Muss ich die kennen?«
    »Eigentlich schon, du hast sie erst vor einer Woche gesehen.«
    »Die beiden da? Bestimmt nicht!«, sagte Anne kategorisch. »Ist dir übrigens schon aufgefallen, dass in Wagner-Opern immer besonders viele Schwule unter den Zuschauern sind? Ich hätte ja gedacht, die stehen mehr auf Verdi und Puccini.«
    »Nein, das ist mir noch nicht aufgefallen, denn ich achte meistens mehr auf die Frauen als auf die Männer. Aber sei so gut und lenk jetzt nicht ab. Du hast die beiden Typen im Grauen Adler gesehen, nur hatten sie da einen Trachtenanzug an. Das sind Hinz und Nagelschmidt, Unterstützer und Geldgeber des Nationalen Widerstands.«
    »Du hast recht!«, sagte Anne aufgeregt. »Aber hast du mir nicht erzählt, dass dieser Bio-Fach-Typ ein Linker ist? Einer, der diese Bunt-statt-Braun-Bewegungen unterstützt? Ich möchte zu gern wissen, was die drei miteinander zu bereden haben.«
    »Ich auch. Aber ich kann mich schlecht dazustellen und lauschen. Die beiden Altnazis dürfen mich nach unserer Begegnung im Oxenzelt auf keinen Fall sehen. Und dich könnten die drei vielleicht auch wiedererkennen.«
    »Das käme auf einen Versuch an.« Annes Stimme klang verschwörerisch, und aus ihrer Handtasche holte sie ihr neues Aufnahmegerät hervor.
    »Du bist doch ein durchtriebenes Luder«, sagte Beaufort zärtlich, »vor dir muss man sich ja wirklich in Acht nehmen.«
    »Wieso? Eine gute Reporterin hat ihr Handwerkszeug eben immer dabei.« Sie schaltete das Gerät auf Aufnahme, stellte den Pegel auf höchste Empfindlichkeit und steckte es so in die leicht geöffnete Tasche zurück, dass das kleine Mikrofon nicht verdeckt war. Dann schlenderte sie auf das Trio zu, legte im Vorbeigehen unauffällig ihre Handtasche auf dem Bistrotisch ab und flanierte, ohne sich umzusehen, in einem größeren Bogen zu Beaufort zurück. Die drei hatten von der ganzen Aktion nichts mitbekommen und unterhielten sich weiter. Fünf Minuten später läutete es zum dritten Aufzug, und der Saal leerte sich schnell. Anne holte sich die Handtasche zurück, stoppte die Aufnahme, drückte die Abspieltaste und hielt sich das Gerät ans Ohr. Sie lauschte angestrengt und legte dabei ihre Stirn in Falten.
    »Und?«, fragte Beaufort nach einer Weile. »Was sagen sie?«
    »Ich verstehe kaum etwas. Zu viele Nebengeräusche. Wir müssen damit ins Studio, da kann ich das dann hoffentlich so bearbeiten, dass man es besser hört.«
    »Dann lass uns hinfahren«, drängte Beaufort.
    »Und der dritte Akt?«
    »Läuft auch ohne uns.«
    »Oh nein, ich will die Oper zu Ende sehen«, sagte Anne bestimmt.
    Beaufort grinste. »Vielleicht sollten wir das tatsächlich tun. Schließlich lehrt uns Elsas Schicksal im Schlussaufzug, wohin übertriebene Neugier führen kann.«
     
    *
     
    Anne stoppte am Eingang, knipste die Innenbeleuchtung in ihrem Fahrzeug an, damit der Nachtpförtner in seinem Häuschen sie auch erkennen konnte, und warf ihm ein freundliches Lächeln zu. Der grüßte höflich und ließ die Schranke in die Höhe klappen. Als sie etwa 100 Meter auf dem stockdunklen

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