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Rescue me - Ganz nah am Abgrund

Rescue me - Ganz nah am Abgrund

Titel: Rescue me - Ganz nah am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Koch
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Art von Party, war schlicht und einfach zugedröhnt gewesen. Zuviel Gras und noch mehr Wodka. Dazu Cannibal Corps per MP3. Musste wohl ordentlich rumgeflippt sein. Head banging und lautes, aggressives growling. So etwas konnte man schon mal mit einer Teufelsanbetung verwechseln, oder? Damit war mein Ruf als Satanist endgültig begründet gewesen.
     
    Jetzt war es totenstill. Die halbe Sichel des Mondes beleuchtete das Gelände etwas. Marmorne Engel und hohe Stelen warfen schwarze unheimliche Schatten. Grund genug, sich zu gruseln, doch für mich hatten sie etwas Tröstliches.
    Auf einem schlichten Grab unter einer Platane ließ ich mich zu Boden fallen.
    John James Lafferty, geliebter Ehemann und Vater, 1964-2009 , stand auf dem Stein vor mir. Ich schaute nach links. Gleich neben meinem Dad lag Richard ‚Rick‘ Donahue, Ryans Vater. Ein kleiner Strauß frischer Rosen lag dort. Ich wusste, Liz – Mrs. Donahue – kam auch regelmäßig hier her. Früher hatte ich sie einfach Liz genannt. Jetzt schien Mrs. Donahue wohl angemessener.
    Ich hatte es nach Möglichkeit vermieden, sie hier zu treffen, war immer weg, wenn ich sie kommen sah. Nicht, dass sie es nicht versucht hätte, mit mir zu sprechen. Oft genug hatte sie hinter mir hergerufen, sie wolle mit mir reden. Aber der Kummer in ihren blauen Augen, die Ryans so ähnlich waren, hatte mich jedes Mal vertrieben.
    Ich hob eines der großen Blätter vor mir auf dem Boden auf. Nachdenklich pflückte ich es auseinander.
    Dad und Rick. Die beiden kannten sich fast ihr ganzes Leben. Sie hatten zusammen in der Army gedient, überlebten eine Saison in Kuwait. Teilten die Leidenschaft für alte Autos und den Rennsport, hatten viel Zeit zusammen verbracht. Beste Freunde eben.
    Ich fühlte, wie etwas in meiner Kehle hinaufstieg. Es war ein Kichern, aber wohl eher eins von der hysterischen Sorte. Sogar gestorben waren sie gemeinsam. Zerschmettert. Zerfetzt. Verblutet.
    Und ich war daran schuld.
    Erschöpft wischte ich mir mit dem Arm durchs Gesicht. Die Nachtluft trocknete den Schweiß, der die verdammte Narbe unter der Schminke jucken ließ.
    „Wieso?“, fragte ich leise und umklammerte meine Knie. Meine Wut war verpufft, hatte tiefer Resignation Platz gemacht. „Wieso musste ich am Leben bleiben?“ Ich berührte die erhabenen Buchstaben auf dem kühlen Granit. „Warum konnte ich nicht auch einfach tot sein?“
    „Und du glaubst, dein Tod würde alles besser machen? Was ist mit deiner Mutter? Mit Ryan? Glaubst du nicht, sie würden dich vermissen?“ Dad klang traurig. Ob es wegen meines Wunsches war, tot zu sein, oder ob es wegen des Grabes war, auf dem ich saß, wusste ich nicht.
    „Niemand würde mich vermissen, Dad. Ryan nicht und sie schon gar nicht.“ Ich spürte, wie mich dieser Gedanke immer weiter runterzog.
    Zu wissen, da war niemand, dem man etwas bedeutet hatte, keiner, der an einen dachte, wenn man tot war, war schlimm. Doch wenn so etwas geschah, während man noch lebte, war das echt beschissen.
    „Sag so etwas nicht. Du kannst von Glück reden, du bist schließlich gut davongekommen und lebst noch. Sei dankbar!“
    „Warum sollte ich dankbar sein? Wofür?“ Dafür, dass meine Mutter mich hasste, weil ich noch am Leben war? Mehr als einmal hatte sie es mir an den Kopf geknallt.
    Ich streckte mich im kurzen feuchten Gras aus. Legte mich so auf dem Grab zurecht, bis ich mit dem Kopf an den Stein stieß, und schloss die Augen. Faltete die Hände vor der Brust. Versuchte mir vorzustellen, wie es sich anfühlen würde. So dazuliegen, in der Enge des Sarges. Jenseits der Existenz.
    Frei von Schuld. Frei vom Leben. Frei von allem. Von Ryan.
    Ein guter Gedanke.
    Mit der Rechten zog ich das Army Messer meines Dads aus der Hosentasche. Seit ein paar Wochen schon trug ich es mit mir herum. Warum, konnte ich nicht sagen, hatte nie die Absicht, mir mit einem Messer das Leben zu nehmen. Eher schon mit der Viper. Mit zweihundertneunzig Sachen vor einen Brückenpfeiler vielleicht. Oder hoch nach Pleasure’s Point und mit Vollgas durch die Leitplanke, ins schwindelerregende Nichts fliegen, sekundenlang, bis dich der Aufprall hinwegkatapultiert. Ins ewige Vergessen.
    Ich setzte mich auf, lehnte mich an den Stein und betätigte den Liner Lock. Die dunkle Klinge sprang hervor. Wie von selber glitt sie über meinen linken Arm. Spielerisch nur. Malte mit der scharfen Spitze Muster in die Haut. Bis ich die Spitze fester ins Fleisch drückte. Ein kleiner Tropfen trat heraus.

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