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Rescue me - Ganz nah am Abgrund

Rescue me - Ganz nah am Abgrund

Titel: Rescue me - Ganz nah am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Koch
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die Schulter und führte mich im Schein der Taschenlampe zum roten Pick-up, der vor dem Tor stand. Ein dunkler Schriftzug prangte an der Seite, doch ich machte mir nicht die Mühe, ihn entziffern zu wollen. Brad bugsierte mich auf den Beifahrersitz und half dabei, den Gurt anzulegen. Dann kletterte er selber hinein. Doch er startete den Wagen nicht, sah nur ins Dunkel hinaus.
    „Weißt du“, begann er leise. „Wenn Menschen trauern, dann tun sie manchmal dumme Dinge.“
    Ich ließ den Kopf gegen die Stütze fallen und rieb mir die Augen. Die kleine Uhr im Armaturenbrett leuchtet matt. Zehn nach elf. „So?“, fragte ich müde. Ich wollte nur noch nach Hause. In einer der Trophäen meines Dads hatte ich noch einen Joint versteckt. Den wollte ich jetzt. Kein Seelengewäsch. Doch Brad schien noch nicht fertig.
    „Maggie war drei, als ihre Mutter starb. Am Tag nach der Beerdigung packte ich ihre Sachen und schob sie zu meinen Eltern ab. Dann verließ ich die Stadt. Es hat ein ganzes Jahr gedauert, bis ich wieder einen Fuß in mein Haus setzen konnte, ich wieder ein Vater für mein Kind sein wollte.“ Brad schwieg.
    Ich fuhr herum. „Was hat dir die Kleine getan? Ist sie auch schuld am Tod ihrer Mutter?“, fragte ich sarkastisch. Oh, Mann, ich hatte so die Schnauze voll. Einen siebzehnjährigen Teenager abzuschieben war eine Sache. Aber eine Dreijährige?
    „Bist du auch bloß so ein Scheiß Erwachsener, der sich einfach so seiner Verantwortung entzieht?“
    „Ich bin nicht stolz auf mein Verhalten.“ Brad hielt inne und sah mich an. „Aber manchmal mag man jemanden einfach nicht sehen, weil derjenige dich immer an das erinnert, was du verloren hast.“ Brad startete den Motor. „Denk mal darüber nach.“

 
Vierzehn
    Die roten Ziffern des Radioweckers zeigten sechs Uhr fünfunddreißig. Ich warf die Bettdecke von mir. Es hatte keinen Zweck. Ich würde sowieso nicht schlafen können. Also konnte ich auch aufstehen. Auf der Bettkante blieb ich sitzen und griff nach dem Päckchen Zigaretten. Es lag auf dem Fußboden zwischen meinen Klamotten. Leer. Mit einem leisen Fluch warf ich die Schachtel zurück.
    Die Geschehnisse der vergangenen Nacht kamen mir inzwischen wie ein schlechter Traum vor. Doch der leuchtend weiße Verband an meinem Unterarm und das Pochen der Wunde darunter erzählten etwas anderes. Probehalber bewegte ich den Arm. Es schmerzte etwas. Aber das war ein Klacks im Gegensatz zu dem, was ich schon überstanden hatte.
     
    Wäre Brad nicht aufgetaucht …
    Vielleicht hätte ich mich doch zu etwas Folgenschwererem hinreißen lassen, als mir nur den einen Schnitt zu verpassen. Schräg genug drauf war ich ja gewesen.
    Braddy Boy. Brad. Eigentlich ein cooler Typ, musste ich zugeben. Hatte mich nach Hause kutschiert, wo doch tatsächlich meine Mutter auf mich wartete. Sie schien sich Sorgen gemacht zu haben, denn als ich die Küche betrat, kam sie auf mich zugeschossen und nahm mich in den Arm. Dann hatten wir geredet. Brad half in Worte zu fassen, was wir uns zwei Jahre lang nicht hatten sagen können. Ich wollte zuerst nicht, hatte mich stur gestellt. Doch Brad hatte mich förmlich dazu gezwungen. Und dann war es nur so aus mir herausgesprudelt. Ein Wort hatte das andere gegeben. Ich brüllte, meine Mutter heulte. Und umgekehrt. Aber am Ende – am Ende war es wie nach einem kräftigen Gewitter. Nicht, dass schlagartig wieder Friede und ungetrübte Freude herrschten – so war es nicht. Noch nicht.
    Ich nahm das kleine Kärtchen in die Hand. Brad hatte es mir gegeben. Dr. Lindsay Palmer. Psychologin, Familientherapie und Trauerbegleitung , stand darauf.
    Diese Psychologin hätte ihm geholfen, mit dem Tod seiner Frau fertig zu werden, hatte er mir erklärt. Ich strich mir die Haare aus dem Gesicht. Ich solle auch dahin, hatte Brad dann gemeint. Und ich müsse mit Ryan darüber reden. Dringend.
    Konnte ich das?
    Ich überlegte. Ich konnte, ja. Vielleicht nicht gleich. Nicht heute.
    Doch – wollte ich es auch?
     
    Als ich nach einer kurzen Dusche die Treppe hinunter kam, war es noch keine sieben. Ich war auf der Suche nach etwas Essbarem, oder zumindest einen Kaffee wollte ich mir kochen. Ich hatte kaum einen Fuß über die Schwelle der Küche gesetzt, da sah ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung.
    „Guten Morgen“, kam es leise aus der Ecke.
    Verblüfft drehte ich mich um und sah meine Mutter an der Spüle stehen. Ich wusste nicht, was mich mehr überraschte. Dass sie zu dieser Uhrzeit schon auf

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