Rescue me - Ganz nah am Abgrund
Tyler an den Wagen. Der hatte sich jetzt aufgerichtet, wischte die Finger an einem Lappen ab und deutete dann auf die Lichtmaschine. „Du musst mir eben kurz helfen. Ich krieg’ die Schrauben nicht rein. Versuch du es mal.“ Damit hielt er ihm den kleinen Schraubendreher und die beiden Schrauben hin. Als Ryan danach griff, berührten sich ihre Hände und er zuckte zusammen.
Stromschlag. Es war wie ein kleiner Stromschlag.
Ryan blinzelte verschreckt, aber Tyler schien es gar nicht bemerkt zu haben. Deswegen wandte er sich wieder dem Wagen zu, schob die Finger zwischen dem Motor hindurch und versuchte, die kleine Schaube ins Loch zu befördern. Doch seine Finger ließen erst die Schrauben, dann das Werkzeug fallen.
„Verfluchter Mist“, schimpfte er genervt und wischte sich die Finger an den Bermudas ab. Er wusste nicht genau, ob er über sich selber angenervt war, weil er sich von Tyler so aus der Ruhe bringen ließ. Oder von Tyler, der sich mit einer Selbstverständlichkeit an seinem Mustang zu schaffen machte, die Ryan ziemlich verunsicherte. Und ärgerte.
„Gar nicht so einfach, oder?“ Tyler war schon auf dem Boden herumgekrochen und hatte die Schrauben aufgehoben. „Versuch es noch einmal.“
Diesmal ließ er die kleinen Teile sofort fallen, kaum, dass er sie aus Tylers geöffneter Handfläche aufnahm. „Das reicht!“ Er schoss vom Wagen und von Tyler weg, so, als stünden beide in Flammen. Schnappte sich die Wasserflasche von der Werkbank und verschwand nach draußen. Dort ließ er sich auf den warmen Rasen fallen.
Hier draußen war es fast unerträglich schwül. Der Schweiß strömte ihm nur so den Rücken runter. Er hob sein Shirt am Saum und fächelte sich damit Luft zu. Viel brachte es nicht.
Was zum Henker ging hier vor? Seit wann war er nicht mehr in der Lage, zwei popelige Schrauben einzuschrauben. Oder sollte die Frage lauten: Seit wann machte ihn der Anblick von Tyler derart nervös?
Ryan öffnete die Flasche und trank einen ordentlichen Schluck. Seit gestern, lautete die Antwort.
Wenn er an die gestrige Eskapade dachte, wollte er im Erdboden versinken. Irgendwann hatte er sich auf dem alten Sofa wiedergefunden. Stunden später, ganz allein, er musste eingeschlafen sein. Da rappelte er sich auf, schlich nach Hause. Sein Schädel brummte zwar ordentlich, auch seinem Magen war es schon mal besser gegangen, doch der Marsch vertrieb den Kater recht schnell. Wenigstens hatte seine Mom nichts bemerkt.
Ein Schatten tauchte neben ihm auf. Tyler ließ sich ins Gras sinken. Rupfte einen Grashalm aus und kaute darauf herum. „Was ist? Macht dir die Hitze zu schaffen?“
„Ja – nein. Ach weiß nicht.“
„Willst du das Publikum befragen?“ Tylers Zunge nestelte an dem Piercing herum. Es klickte leise, als der kleine Ring seine Zähne berührte.
„Nein. Das nicht … aber …“ Ryan hielt inne. Spielte mit dem Schnürsenkel der Chucks. Kratzte den Mückenstich an seinem Knöchel, pflückte ein einsames Gänseblümchen – alles nur, um Tyler nicht ansehen zu müssen.
„Ja?“, hakte Tyler nach.
Ryan spürte seinen Blick auf ihm ruhen, doch noch immer schaute er nicht auf. „Aber ich würde dich gerne was fragen. Wenn ich darf.“
„Frag.“ Tyler spuckte den Grashalm aus.
„Was hast du die ganze Zeit getrieben? Außer zur Schule zu gehen, mein’ ich.“ Darüber hatte er oft nachgedacht, während er zuhause im Bett lag und sich von den kassierten Prügeln kurierte. Zwei Jahre waren vergangen, und Ryan wollte einfach nicht glauben, dass er diese ganzen Monate einfach so mit Alkohol und Drogen vergeudet hatte. Tyler war intelligent und überaus begabt, hatte ein festes Ziel vor Augen gehabt. Technik hatte er studieren wollen und Ingenieurswesen. Vor dem Unfall. Ob er das noch immer vorhatte? Nach dem Unfall war er lange nicht zur Schule gegangen, hatte deswegen sogar ein Jahr wiederholen müssen, doch Ryan war ziemlich sicher, dass Tyler schnell den Anschluss gefunden haben musste.
Er blinzelte kurz zu ihm rüber und gleich wieder auf seine Schuhe zurück. Sah wieder auf.
„Fragst du nur so oder interessiert es dich wirklich?“ Tyler schaute skeptisch, schien nicht so recht zu wissen, ob er es ernst meinte.
„Du musst es mir nicht sagen, wirklich nicht“, beeilte Ryan sich zu sagen. Wollte nicht, dass Tyler sich zu sehr unter Druck gesetzt fühlte. Er suchte seinen Blick. „Aber es interessiert mich. Ehrlich“, antwortete er aufrichtig.
Noch immer zögerte Tyler mit
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