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Rescue me - Ganz nah am Abgrund

Rescue me - Ganz nah am Abgrund

Titel: Rescue me - Ganz nah am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Koch
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So hatten sie ihn damals genannt. Dad war berühmt gewesen, der Held in dieser Stadt. Er war hier geboren und aufgewachsen. So wie ich.
    Hunderte Male hatte ich seine alten Renngeschichten schon gehört, kannte sie Wort für Wort auswendig. Früher hatte ich manches Mal genervt die Augen gerollt und mich verkrümelt, wenn Dad damit anfing.
    Doch jetzt verschlang ich diese Geschichten, war regelrecht süchtig danach. Sie waren das Einzige, was mich daran gehindert hatte, durchzudrehen. Schluss zu machen. Die Storys und die heruntergekommene 93er Viper, die Dad mir hinterlassen hatte.
     
    „Du warst doch früher auch nicht abgeneigt, oder?“ Ich zog an dem Joint, orange leuchtete die Glut auf. „Du hast es mir selbst erzählt.“
    „Das war etwas anderes. Wir rauchten, weil wir cool sein wollten. Vor den Mädchen damit angeben wollten. Warum tust du es?“
    Ich lehnte mich in dem zerschlissenen Sitz zurück. Warum? Weil es half, zu vergessen. Half, den Schmerz zu verdrängen, der unentwegt in meinem Herzen brannte. Die Schuld, die ich mir jeden beschissenen Tag aufs Neue gab. Es übertünchte meine Einsamkeit … Die Liste war lang.
    Nichts davon sagte ich. Stattdessen zuckte ich nur gleichmütig die Schultern. „Nur so.“
    Aus dem Handschuhfach des neu erworbenen Mustangs zog ich eine Flasche. Schon setzte ich an und trank. Der Wodka brannte warm die Kehle hinunter. Ich zog ein letztes Mal an dem Joint, schnippte den Stummel durchs geöffnete Fenster hinaus. Dann trank ich noch einen Schluck.
    „Du siehst aus, als hättest du ein Problem“, sagte Dad. „Trinkst du deswegen?“
    „Nein.“
    Doch. Genau deswegen tat ich es. Ich schloss die Augen. Keine gute Idee, sofort schob sich die schmale Gestalt mit dunklen Locken und himmelblauen Augen in meine Gedanken. Ryan.
    Ausgerechnet Ryan.
    Sich freiwillig mit ihm abzugeben, grenzte schon an Idiotie. Und dieses Auto zu kaufen, war mit Abstand das Dümmste, Beknackteste und Bescheuertste, was ich seit Langem getan hatte. Sogar noch dämlicher, als sich hin und wieder einen Joint reinzuziehen.
    „Kannst du mir mal verraten, wie ich auf diese bekloppte Idee gekommen bin?“
    Ich hatte nicht nur Big Eddy achthundert Dollar in den Rachen geschmissen, die für etwas ganz anderes vorgesehen waren. Nein. Ich hatte auch noch gegen mein oberstes Gebot verstoßen.
    Keine ‚Süßigkeiten‘ von ‚netten Onkeln‘ anzunehmen.
    Big Eddy hatte sich fast überschlagen, als ich in seinem Büro aufgetaucht war. Den Mustang hatte Eddy mir schon einmal angeboten, gleich zu Anfang, sobald er anfing, mit meiner Mutter ins Bett zu steigen. Doch ich hatte abgelehnt. So wie ich alles ablehnte, was auch nur im entferntesten als Bestechung gelten konnte. Ich ließ mich nicht kaufen.
    Und nun? Nun saß ich hier in dieser Karre.
    „Ausgerechnet Ryans Traumwagen. Ich muss doch nicht alle beisammengehabt haben!“, fluchte ich und schlug wütend aufs Lenkrad.
    „Vielleicht wolltest du ihm eine Freude machen?“, antwortete Dad sanft. „Du weißt, wie sehr er diesen Mustang liebt.“
    Ich Ryan eine Freude machen? Nach all dem, was der mir angetan hatte? Bestimmt nicht!
    „Halt die Klappe, Dad!“, knurrte ich gereizt. „Es war eine rein rhetorische Frage. Ich will und ich werde ihm keine Freude machen, klar?“ Deswegen würde ich den Mustang wieder loswerden. „Gleich morgen früh werde ich Big Eddy die Karre zurückgeben.“
    „Bist du sicher, dass du das willst? Weißt du nicht mehr, wie viel Spaß wir hatten, wenn wir an einem Wagen herumgebastelt haben? Erinnerst du dich nicht mehr daran?“
    Erinnern? Wer wollte sich schon erinnern. Ich ganz bestimmt nicht.
    Wollte nicht daran denken, was ich empfunden hatte, wenn ich mit Ryan zusammen an den Autos geschraubt hatte. Was ich gefühlt hatte. Dieses Herzklopfen. Wie meine Hände gezittert hatten. Einfach nur, weil er sich im selben Raum aufgehalten hatte, wie ich.
    Ich streckte die Hand nach dem Innenspiegel aus. Drehte ihn so lange, bis ich mich darin sehen konnte. Verschmiertes Make-up leuchtete mir entgegen. Ein unheimlicher Anblick im Halbdunkel der Garage.
    „Warum läufst du bloß immer rum, wie ein Spuk aus der Geisterbahn?“, fragte Dad vorwurfsvoll.
    Ich war überrascht. So eine Frage hatte er mir noch nie gestellt. Dann lächelte ich bitter. Spukgespenst hatte mich auch noch niemand genannt.
    Prinz der Finsternis. Satan. Freak. Mörder. Das schon.
    „Weil es mir gefällt.“
    Weil es sich als die perfekte Tarnung

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