Reseph
beleidigen
würde sie ihm ja vielleicht noch abkaufen. Aber sie hatte gesehen, wie schlimm es für ihn gewesen war, als sie ihn im Polizeirevier hatte stehen lassen, und genauso jetzt, als sie ihn an seinen Gedächtnisverlust erinnert hatte. Aber sie hatte nicht vor, ihn deswegen zur Rede zu stellen. Sie wusste aus eigener Erfahrung, wie sehr das Überleben davon abhängen konnte, dass man die Dinge glaubte, die man sich einredete.
»Also, leicht verletzlich bist du wirklich nicht«, sagte sie leichthin. »Es ist wirklich erstaunlich, wie schnell du dich erholt hast, nachdem du beinahe erfroren wärst.«
»Offenbar verfüge ich über ein unglaubliches Durchhaltevermögen.« Seine Stimme war leise und verführerisch. Sie würde jede Wette eingehen, dass sein Durchhaltevermögen etwas war, mit dem es sich lohnte anzugeben. »Draußen hast du gesagt, dass es schon lange her wäre, seit du Sex hattest.«
Und wieder einmal machte sich sein Mangel an Zurückhaltung bemerkbar. »Über ein Jahr.«
»Warum?«
Sie zögerte, unsicher, ob sie schon bereit war, Einzelheiten preiszugeben. »Weil ich erst hergezogen bin und nicht gleich wieder mit Verabredungen und dem ganzen Zeug anfangen wollte.« Sie bezweifelte, dass sie dazu je wieder Lust verspüren würde.
»Dazu musst du dich doch nicht verabreden«, sagte er, als ob es Gott weiß wie dämlich von ihr war, überhaupt davon zu reden. »Wer hat schon Lust, so viel Zeit und Energie damit zu verschwenden? Stürz dich doch einfach auf Sex ohne Verpflichtungen.«
Auch wenn sie absolut kein Recht hatte, wütend auf ihn zu sein, ärgerte sie seine Antwort, vor allem wenn sie daran dachte, wie charmant er Tanya umgarnt hatte. »Ist Sex für dich wirklich so unverbindlich?«
Er zuckte mit den Achseln. »Warum denn nicht? Menschen sind immer so schrecklich verklemmt. Es geht dabei doch nur um Lust. Dafür sind unsere Körper gemacht.«
Menschen?
Als ob er nicht zu ihnen gehören würde? »Wir sind aber auch für Beziehungen gemacht. Für Verbindungen auf emotionaler Basis.« Sie konnte nicht glauben, dass sie für etwas plädierte, dem sie eigentlich abgeschworen hatte.
»Sich ein Leben lang binden?« Er sah aus, als ob er in etwas Bitteres, Fauliges gebissen hätte. »Das mag ja ideal gewesen sein, als die Menschen noch nicht so lange lebten, aber wer will denn schon sein ganzes Leben lang an eine einzige Person gefesselt sein?«
Gefesselt.
So etwas Ähnliches hatte er schon einmal über ihr Haus und ihre Farm gesagt. »Dann willst du also niemals heiraten? Kinder haben und glücklich leben bis an dein seliges Ende?«
»Jillian«, murmelte er. »Ich kenne ja nicht einmal meinen Nachnamen. Wie kann ich da sagen, was ich vielleicht mal irgendwann in der Zukunft tun will?«
»Scheiße.« Sie stieß lautstark den Atem aus. »Tut mir leid. Ich hab keine Ahnung, warum ich mich überhaupt so aufgeregt habe.«
Er hatte einen wunden Punkt berührt, von dessen Existenz sie gar nicht gewusst hatte. Jedenfalls hatte sie kein Recht, seine lässige Haltung gefühlsmäßigen Bindungen gegenüber zu verurteilen. Seit dem Tag, an dem sie herausgefunden hatte, dass ihr Verlobter mit einer anderen verheiratet war, hatte sie niemanden mehr an sich herangelassen. Nur Stacey hatte einen Platz in Jillians innerem Kreis, und das auch nur, weil sie schon seit zwanzig Jahren dazugehörte.
Scheiße.
Sie versetzte sich selbst einen Schlag gegen die Stirn. »Ich muss Stacey anrufen. Sie sucht immer noch nach dir.«
»Dann gehe ich so lange unter die Dusche.« Er streckte die Hand aus und streichelte ihre Wange. »Tut mir leid, dass ich dich verärgert habe.«
Er verschwand im Bad, und sie blieb unruhig und verwirrt zurück. Eigentlich schuldete sie ihm eine Entschuldigung, nicht umgekehrt. Ach, verdammt, er hatte es echt drauf, sie vollkommen durcheinanderzubringen. Als Fluglotsin war sie stolz darauf gewesen, immer ruhig, kühl und gefasst zu sein, sogar in Zeiten mit extrem viel Stress oder während grauenhafter Unglücksfälle. Doch Reseph gelang es immer wieder, mit nichts als einer federleichten Berührung oder einigen leisen Worten ihren ruhigen, reibungslosen Flug in Turbulenzen zu stürzen und ihren gesamten sorgfältig ausgearbeiteten Flugplan auf den Kopf zu stellen.
Geh wieder auf Kurs, du dumme Kuh.
Sie nahm sich das Telefon und wählte. Als sich ihre Freundin meldete, gab sie ihr nicht mal die Chance, Hallo zu sagen. »Stacey. Hey, tut mir leid, dass ich nicht eher angerufen habe,
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