Reseph
Sie weg sind, entschließt sie sich vielleicht doch noch, zu mir zu ziehen.«
Dicke Schneeflocken begannen in gemächlichen Wirbeln zu fallen. Er lehnte sich lässig mit der Hüfte gegen ihren Wagen und legte seinen Arm auf dessen Dach.
»Ja, wissen Sie … das wird nicht passieren. Was Sie da über meinen Ballast sagen, ist gar nicht so verkehrt. Und ich bin froh, dass sie eine gute Freundin hat, die auf sie aufpasst. Aber das kann ich auch. Wir wissen alle beide, dass sie die Farm nicht verlassen wird, und solange hier etwas herumläuft, das Leute umbringt, lass ich sie ganz bestimmt nicht allein. Ich werde nicht zulassen, dass irgendwas oder irgendwer sie bedroht.«
Sie hob das Kinn. »Was, wenn Sie die Bedrohung sind? Können Sie guten Gewissens sagen, dass es nicht so ist? Was, wenn Sie morgen aufwachen und sich erinnern, dass Sie ein Vergewaltiger sind? Oder ein Drogenboss? Oder ein Sklavenhändler?«
Die knallharte Stacey sprach damit Resephs eigene Ängste an, aber ihre Beispiele kamen dem, was er insgeheim befürchtete, nicht einmal nahe. Er konnte es nicht erklären, aber er hatte das Gefühl, dass, sollte er sich tatsächlich als das Arschloch herausstellen, vor dem ihm so graute, ein Drogenboss im Vergleich zu ihm wie ein verspieltes Kätzchen wirken würde.
Nicht, dass er Stacey das mitteilen würde. »Wenn ich irgend so jemand wäre, wäre der Arsch der Welt wohl der letzte Ort, an dem ich mich aufhalten würde. Ich schätze, dass ihr hier in eurem Städtchen mit gerade mal einer Ampel nicht allzu große Probleme mit Drogen- oder Sklavenhandel habt.«
»Zwei«, fuhr sie ihn an. »Wir haben zwei Ampeln.«
»Oh, na dann werde ich mal sehen, ob ich nicht einen Sklavenhandel in eurer blühenden Metropole aufziehen kann.«
Sie sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an, was ihr allerdings nur ein Grinsen einbrachte. »Vergessen Sie ja nicht: Wenn Sie ihr wehtun, komm ich und mach Sie fertig.«
Sie schubste seinen Arm aus dem Weg, stieg ein und fuhr davon. Da sie zu heftig aufs Gaspedal trat, kam sie kurz ins Schleudern, worüber sie sich vermutlich grün ärgerte, er sich aber prächtig amüsierte.
Zumindest so lange, bis er eine Präsenz spürte. Er lauschte dem leiser werdenden Motorgeräusch von Staceys Wagen, und dann lauschte er in den Wald hinein. Der Ruf einer Eule durchbrach die Nacht, aber abgesehen davon … nichts. Doch er fühlte sich, als ob er beobachtet würde. Seltsam war nur, dass er diesmal nicht das Gefühl hatte, in Gefahr zu sein, ganz im Gegenteil. Das Gefühl, das sich in ihm ausbreitete, barg etwas ungemein Tröstliches.
»Wer auch immer du bist«, sagte er ruhig. »Ich würde dich gerne sehen. Denn im Moment hab ich das Gefühl, ich verliere den Verstand.«
Niemand erschien wie aus dem Nichts vor ihm oder trat aus dem Wald. Natürlich nicht.
»Komm schon, du verdammter Voyeur! Gib mir doch wenigstens einen Tipp!« Er drehte sich einmal um sich selbst, blickte in jede erdenkliche Richtung. »Ich nehme mal nicht an, dass du mir sagen kannst, wer ich bin? Nein? Ach, leck mich doch!«
Er wartete noch eine Minute ab, und das Gefühl verging, bis er nur noch zwei Dinge spürte: dass er draußen in der Kälte, im Dunkeln, war und dass Jillian, die warm und hell war, sich drinnen befand.
Frustriert kehrte er ins Blockhaus zurück. Als er sie nicht sofort sah, stieg augenblicklich Furcht in ihm auf. Nachdem er zuerst in der Küche nach ihr gesucht hatte, fand er sie schließlich im dunklen Schlafzimmer, wo sie auf der Bettkante saß.
»Hat Stacey dir ordentlich die Leviten gelesen?« Ihre Stimme klang rau; er hörte ihr an, dass sie den Tränen nahe war.
»Ein bisschen schon. Ich glaube, sie hätte mir am liebsten ihren Gummiknüppel in den Arsch geschoben. Aber nicht so, dass es Spaß macht.«
Sie sah auf ihre Füße. »Tut mir echt leid.«
»Das muss es nicht. Sie ist eine gute Freundin.« Er stieg auf die Matratze und streckte sich aus; dann legte er die Arme um sie und zog sie neben sich. »Geht’s dir gut? Kann ich irgendwas für dich tun?«
»Das hier ist perfekt.« Sie kuschelte sich in seine Armbeuge. »Zu perfekt, fürchte ich.«
»Wie kann denn etwas zu perfekt sein?«
»Weil das der Zeitpunkt ist«, flüsterte sie, »in dem alles zum Teufel geht.«
Reaver war glücklich, als er sah, dass es Reseph gut ging. Der Reiter schien sich an das Leben in der Menschenwelt gewöhnt zu haben; er sah sogar richtig gut aus. Das hatte Reaver feststellen können, als er ihn
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