Resident Evil - Sammelband 03 - Im Netz der Verraeter
erreicht, da nahm das Unheil auch schon seinen Lauf.
Die Nacht brach an, während Chris am oberen Ende der Klippe stand. Er legte eine Verschnaufpause ein und verfluchte sich selbst. In dieser Tasche war alles gewesen – Waffen und Munition, Abseilausrüstung, damit sie zum Boot hinunterklettern konnten, eine Taschenlampe, ein Erste-Hilfe-Kasten, alles .
Nicht alles . Du hast immer noch drei Granaten am Gürtel , korrigierte ihn eine innere Stimme. Na toll. Auf halbem Wege die Klippe hinauf war ihm zwar die Tasche aus der Hand gerutscht und ins tiefblaue Meer gefallen, aber seinen Sinn für Humor hatte er offenbar immer noch nicht verloren.
Ja, der wird mir sehr zugute kommen, wenn ich Claires Leben retten will. Barry hatte Recht. Ich hätte Verstärkung mitbringen sollen.
Tja. Er konnte den lieben langen Tag hier stehen und sich wünschen, dass alles anders wäre, oder er konnte weitermachen. Er entschied sich für Letzteres.
Chris duckte sich und trat durch den niedrigen Höhleneingang, von dem aus er mit seiner Suche beginnen wollte. Es handelte sich um einen abgeschiedenen Bereich der Insel, aber er war definitiv mit dem Rest der Anlage verbunden – auf einem Felssims vor der Höhle stand eine Funkantenne, und als er sich nach ein paar Schritten aufrichtete, fand er sich in einem großen, weitläufigen Raum wieder, dessen Wände und Decke zwar in naturbelassenem Zustand waren, der Boden allerdings war sorgfältig begradigt worden.
Irgendwo vor ihm war Licht. Chris ging darauf zu und drückte sich die Daumen, dass er nicht in ein festliches Abendessen des Umbrella-Militärs platzte. Er bezweifelte es. Nach dem, was er von der Insel gesehen hatte, waren die Auswirkungen des Angriffs, den Claire erwähnt hatte, über die Maßen verheerend gewesen.
Er war noch keine zwölf Schritte in den schattenerfüllten Raum gelaufen, als ein leichtes Beben die Höhle erschütterte. Staub und Geröll regneten auf Chris herab – und verschlossen den Höhleneingang, durch den er gerade gekommen war. Niederstürzender Fels verursachte ein unverkennbares Geräusch. Der Angriff auf die Insel hatte offenbar eine nachhaltige Instabilität zur Folge.
„Na wunderbar“, brummte Chris, aber plötzlich war er doch ganz froh, die Granaten zu haben, auch wenn sie ihm hier nicht viel helfen würden. Selbst wenn er den Eingang frei sprengen könnte, ohne die ganze Höhle zum Einsturz zu bringen, war es doch zu hoch, um zu springen. Das Seil war in der Tasche gewesen. Und falls sie nicht zwischenzeitlich Unterricht genommen hatte, war Claire als Bergsteigerin zu unerfahren, um ohne Hilfsmittel nach unten zu klettern …
„Was?“, fragte eine raue Stimme, und Chris ging in die Hocke. Er durchforstete die Schatten und sah einen Mann auf dem Höhlenboden sitzen, gegen die Wand gelehnt. Er trug ein zerrissenes weißes T-Shirt voller Blutflecken, seine Hose und die Stiefel waren Teil einer militärischen Uniform – er gehörte zu Umbrella, und er war in keiner besonders guten Verfassung. Dennoch trat Chris rasch neben ihn, bereit, ihm die Scheiße aus dem Leib prügeln, falls er auch nur nieste.
„Ich wusste nicht, dass noch jemand hier ist“, sagte der Mann schwach und hustete. „Dachte, ich sei der Letzte … nach der Selbstzerstörung.“
Er hustete erneut, war offenbar dem Tod nahe. Seine Worte drangen in Chris’ Bewusstsein und erzeugten einen bleiernen Klumpen in seinem Bauch. Selbstzerstörung?
Er bückte sich und bemühte sich um einen ruhigen Tonfall. „Ich bin hier, weil ich nach einem Mädchen suche. Sie heißt Claire Redfield. Wissen Sie, wo sie ist?“
Als er Claires Namen hörte, lächelte der Mann, wenn auch nicht in Chris’ Richtung. „Ein Engel. Sie ist weg, geflohen. Ich hab ihr geholfen … hab sie gehen lassen. Sie hat versucht mich zu retten, aber es war zu spät.“
Neue Hoffnung erwachte in Chris. „Sind Sie sicher, dass sie entkommen ist?“
Der sterbende Mann nickte. „Hab gehört, wie die Flugzeuge starteten. Hab gesehen, wie ein Jet aus dem Untergeschoss kam, unter … “, ein Husten, „… unter dem Panzer. Sie sollten jetzt auch gehen. Hier gibt’s nichts mehr zu tun.“
Chris spürte, wie ein Teil des Druckes in ihm wich, wie die Anspannung in seinem Nacken nachließ. Wenn sie entkommen war, war sie in Sicherheit.
„Danke, dass Sie ihr geholfen haben“, sagte er ehrlich. „Wie heißen Sie?“
„Raval. Rodrigo Raval.“
„Ich bin Claires Bruder, Chris“, stellte er sich vor.
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