Resident Evil - Sammelband 03 - Im Netz der Verraeter
durch die Dunkelheit.
Carlos kämpfte gegen den Andruck an. Er wusste, dass der Wagen aus dem Gleis gesprungen, dass Mikhail tot und dass ihre einzige Hoffnung die Handbremse war. Wenn sie Glück hatten, würden die Räder blockieren. Er riss den Hebel so fest er konnte nach hinten …
… doch nichts geschah, überhaupt nichts. Sie waren verloren.
Jill schaffte es, nach vorne zu kommen. Sie fand Halt an Sitzlehnen und Stangen, während die Straßenbahn weiterhin bockte und quietschte. Carlos sah, wie sie den nutzlosen Hebel in seiner Hand anstarrte, sah Verzweiflung in ihren Augen aufblitzen, und er wusste, dass sie springen mussten.
„Die Bremsen!“ , rief Jill gegen den infernalischen Lärm.
„Funktionieren nicht! Wir müssen abspringen!“
Er drehte sich um, packte sein Gewehr am Lauf und benutzte den Kolben, um ein Seitenfenster einzuschlagen. Ein plötzliches Rucken des Bodens ließ ihm die Glasscherben gegen die Brust regnen. Er hielt sich mit einer Hand am Fensterrahmen fest, fasste nach hinten, um Jill zu packen …
… und sah, wie sie den Ellbogen gegen eine kleine Scheibe rammte, die weit unten in die Konsole eingelassen war. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck verzweifelter Hoffnung, während sie einen Schalter betätigte, den er nicht sehen konnte.
SKRIIIII …
Die Notbremse!
Und unfassbarerweise wurde die Straßenbahn tatsächlich langsamer, neigte sich ein letztes Mal nach links, bevor sie zurückkippte und in einem verglühenden Schweif heller Funken weiterrutschte. Carlos schloss die Augen und spannte sich, versuchte sich auf den Aufprall vorzubereiten – und ein paar Sekunden später markierte ein sanftes, unspektakuläres Knirschen das Ende ihrer Reise.
Der Wagen war an einem Haufen zertrümmerter Betonreste inmitten eines ordentlich getrimmten Rasens zum Stehen gekommen. In der Nähe standen ein paar schattenumwobene Statuen und Hecken. Ein letztes Beben durchlief den Wagen – dann war es vorbei.
Stille, bis auf das Knacken sich abkühlenden Metalls. Carlos öffnete die Augen und war kaum im Stande zu fassen, dass ihre Alptraumfahrt durch die Stadt hier zu Ende war. Neben ihm schnappte Jill zittrig nach Luft. Alles war so schnell gegangen, dass ihr Überleben einem Wunder gleichkam.
„Mikhail?“, fragte er leise.
Jill schüttelte den Kopf. „Es war das Tyranten-Ding, dieser S. T. A. R. S.-Killer. Mikhail hatte eine Granate, das Monster kam auf uns zu und er … “
Ihre Stimme brach. Sie fasste in ihre Hüfttasche und begann, ihre Waffen nachzuladen, konzentrierte sich auf diese simplen Bewegungen. Es schien sie zu beruhigen. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme fest.
„Mikhail opferte sich, als er sah, dass Nemesis auf mich losging.“
Sie wandte den Blick ab, hinaus ins Dunkel. Ein kalter Wind wehte durch die zerbrochenen Fenster der Straßenbahn herein. Jills Schultern sanken herab. Carlos wusste nicht recht, was er sagen sollte. Er trat zu ihr, berührte sanft ihren abgeschürften Rücken und spürte, wie sich ihr Körper versteifte. Rasch ließ er die Hand sinken, weil er fürchtete, sie irgendwie verletzt zu haben, doch dann erkannte er, dass sie auf etwas starrte, das dort draußen war. Ihre feinen Züge zeigten einen Ausdruck puren Staunens.
Carlos folgte ihrem Blick hinaus und nach oben, wo er einen gigantischen, drei- oder vierstöckigen Turm über ihnen aufragen sah, der sich vor der Kulisse des bewölkten Nachthimmels abzeichnete. Ein leuchtend weißes Zifferblatt nahe der Turmspitze verriet, dass es schon fast Mitternacht war.
„Jemand liebt uns, Carlos“, sagte Jill, und er konnte nur stumm nicken.
Sie hatten den Uhrenturm erreicht.
Nicholai ging die vom Mondlicht beschienenen Gleise entlang, ohne sich, während er Richtung Westen trottete, Mühe zu geben, sich zu verbergen. Wenn etwas auf ihn zukam, würde er es sehen und töten können, lange bevor es ihn erreichte. Er war schlechter Laune und freute sich fast auf die Möglichkeit, irgendetwas in Stücke zu schießen, ob es nun ein Mensch oder etwas anderes war.
Sein Zorn hatte sich etwas gelegt und war einem eher fatalistischen Zustand gewichen. Es schien ihm nicht länger möglich, den sterbenden Zugführer und die beiden jungen Soldaten aufzuspüren – es blieb einfach nicht mehr genug Zeit. Er würde mindestens eine Stunde brauchen, um den Uhrenturm zu erreichen. Vorausgesetzt, dass sie herausfanden, wie man die Glocken läutete, würden sie längst fort sein, bis er dort eintraf.
Nicholais
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