Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
Couch im Studio aus. »Als Breivik durch die Wand der Hütte schoss, da dachte ich, jetzt wird er uns alle töten. Ich wollte meine Leute zu Hause nicht unnötig beunruhigen, aber ich dachte, das sei vielleicht meine letzte Gelegenheit«, antwortete Wennesland, wobei es ihm offenkundig das Herz zerriss. »Ich wollteihnen sagen, dass ich sie liebe und dass ich hoffe, sie wiederzusehen.«
Auch die BBC zollt Wennesland für seinen Auftritt Respekt: »Jeder, der uns heute Morgen zusieht und Sie da stehen sieht, wird beeindruckt von Ihrer Tapferkeit sein, davon, dass Sie mit uns sprechen, und von Ihrer Art, wie Sie mit dieser ganzen Sache umgehen«, sagte der Moderator, der neben seiner Kollegin im Studio saß. Und bohrte noch einmal nach: »Können Sie erklären, wie schwierig das für Sie ist?« Es sei »extrem traumatisch«, sagte Wennesland. Am Tag zuvor, als er mit seiner Familie und mit seiner Freundin zu Hause war, da sei es aus ihm herausgebrochen: »Das ist dann der Moment, wo man zusammenklappt und einfach nur weint.«
Aber er wusste auch, warum er jetzt so tapfer war. Warum er überhaupt in der Lage war, aufrecht zu stehen, statt sich in ein schützendes Bett zu verkriechen: Durch seine Partei sei er weltweit vernetzt, führte der junge Mann aus, der bis zum Massaker stellvertretender Vorsitzender der Jugendliga der Sozialdemokraten im Bezirk Oslo war und durch den Tod seines Freundes auf Utøya nun zum Vorsitzenden wurde. Er habe große Unterstützung aus aller Welt erfahren. Der Zuspruch von überall her habe ihm sehr geholfen – und auch, dass er selbst andere unterstützen konnte. »Wir leben eine große Solidarität«, sagte er, und dabei huschte sogar ein Lächeln über sein Gesicht. »Wir helfen uns gegenseitig. Ich glaube, ohne diese Hilfe wäre es für uns nicht möglich, diese Situation zu überstehen.«
Vor der Konfrontation mit den schlimmsten Schreckensstunden seines Lebens drückt sich Wennesland auch ein Dreivierteljahr später nicht, als er eine Reporterin der Nachrichtenagentur Reuters trifft. Da trägt er immer noch das orangefarbene Armband, auf dem in weißen Großbuchstaben »UTØYA« steht. Jeder Teilnehmer an dem Sommercamp auf dem Inselchen hatte so eins bekommen. »Ich kann es nicht abnehmen«, sagt er. Es mahne ihn, für alles dankbar zu sein – sogar für diesen schlechten Mensa-Kaffee, scherzt er. »Und natürlich trage ich es für die Menschen, die wir verloren haben.«
Auch für Wennesland war es in der ersten Zeit nach demAttentat schwer. Auf seine Abschlussarbeit über palästinensische Flüchtlingscamps im Libanon, die zur Zeit des Massakers schon fast fertig war, konnte er sich zunächst nicht konzentrieren. Er ging jede Woche zum Psychiater. Das habe ihm geholfen, seine Gedanken zu ordnen. Er wollte sich von den furchtbaren Erlebnissen auch nicht unterkriegen lassen.
Wennesland hat seinen Weg gefunden: Seine Angst, seine Trauer und seine Wut setzt er in Tatendrang um. »Dieser Typ wollte mich umbringen, weil ich an die Demokratie glaube, an die Offenheit, die Toleranz und den Dialog«, sagt der in Kapuzenpullover und Turnschuhe gekleidete Student der Reuters-Reporterin. »Gut, dann scheiß drauf«, platzt es plötzlich aus ihm heraus. »Wenn er mich dafür umbringen wollte, dann werde ich erst recht dafür kämpfen!« Sonst würde doch Breivik gewinnen. »Und niemand in ganz Norwegen möchte, dass er gewinnt«, so Wennesland. »Diejenigen von uns, die übrig geblieben sind, werden stärker sein. Wir werden härter sein.«
So stabil wie Wennesland sind längst nicht alle Überlebenden von Utøya. Der 21-jährige Adrian Pracon hat ebenfalls versucht, seine Ängste zu etwas Nützlichem zu formen. Er hat ein vielbeachtetes Buch (auf Deutsch ›Herz gegen den Stein‹) über die entsetzlichsten Minuten seines Lebens geschrieben – »um die Toten zu ehren«, wie er sagt, und um zu zeigen, »dass Terror politisches Engagement nicht besiegen kann.« Unermüdlich hält er Vorträge gegen Rassenhass und Diskriminierung.
Auf Utøya hatte sich Pracon tot gestellt, um Breivik zu entgehen. Er schmierte sich mit dem Blut seiner toten Freunde ein und legte sich auf einen Felsen. Als Breivik näher kam, hat Pracon nicht einmal mehr seinen eigenen Atem wahrnehmen können, so still lag er und so viel Angst hatte er; er fühlte nur noch, wie sein Herz gegen den Stein pochte. Dennoch feuerte Breivik seinen wohl letzten Schuss auf ihn ab. Pracon hatte unglaubliches Glück. Die Kugel
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