Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
vergleichbaren Müttern, die nicht arbeiten. Das hat auch Rachel Lucas-Thompson herausgefunden: Dem Nachwuchs von Alleinerziehenden und Kindern aus Familien mit niedrigem Einkommen nützen die frühen Kontakte außer Haus sehr. Für sie kann der Besuch einer Krippe ein Segen sein.
Vielen Fachleuten ist das abschätzig »Herdprämie« genannte Betreuungsgeld daher ein Graus, weil es vor allem Mütter aus niedrigeren sozialen Schichten dazu bringen könnte, ihre Kinder zu Hause zu behalten. Dabei wäre gerade in diesen Familien eine frühzeitige professionelle Betreuung in Kindertagesstätten wichtig und könnte »späteres Unheil abwenden: Schulversagen, Scheitern bei der beruflichen Eingliederung und sogar Kriminalität«, so der Professor für Sozialpolitik Hermann Scherl. Es ist eben nicht unbedingt die mütterliche Nähe, die Kinder weiterbringt.
Dabei wirken sich Krippen und Kindergärten nicht nur positiv auf das Verhalten, sondern auch auf die geistige Entwicklung aus: Schon 1962 stellten sich Pädagogen in den USA genau jene Frage, die heute wieder so viele Eltern und Politiker in Deutschland bewegt: Wie viel Mutti braucht das Kind? Die amerikanischen Erzieher initiierten das Perry Preschool Project mit Kindern im Alter ab drei Jahren und ein Jahrzehnt später das Abecedarian Project mit Kleinkindern ab drei Monaten. In beiden Projekten wurden Kinder aus schwachen sozialen Schichten in Tagesstätten betreut. Ihre Fortschritte wurden mit der Entwicklung von Kindern aus ähnlichen Familienverhältnissen verglichen, die zu Hause blieben.
Heute haben die Kinder aus dem Perry Preschool Project ihren 50. Geburtstag hinter sich, und die einstigen Kita-Sprösslingekönnen auf größeren beruflichen Erfolg und ein höheres Einkommen zurückblicken als ihre Nachbarkinder, die bei Mutti blieben. Sie landeten seltener im Gefängnis und waren nur halb so oft auf Sozialhilfe angewiesen. Sogar um ihre Gesundheit stand es besser als bei dem nur in der Familie erzogenen Nachwuchs.
Gerade in den ersten Lebensjahren können Anregungen viel bewirken. Wenn das Gehirn in dieser frühen Lebenszeit verödet, ist das kaum mehr aufzuholen. »Die Gesellschaft trägt eine große Verantwortung dafür, Kindern einen guten Start zu garantieren«, sagt die Heidelberger Entwicklungspsychologin Sabina Pauen. »Wir müssen für unsere Kinder eine stimulierende Umgebung schaffen.« Eben die fehlt zahlreichen Kindern in ihren Elternhäusern. Wo kaum gesprochen wird oder ständig der Fernseher läuft, lechzen die Babygehirne vergeblich nach förderlichem Input.
Einen ähnlich günstigen Einfluss auf die Intelligenz zeigte auch die frühe Krippenerziehung bei den Babys aus dem Abecedarian Project: Diese Kinder wurden allerdings nur untersucht, bis sie 21 Jahre alt waren. Dabei schnitten die Jugendlichen aus den Tagesstätten in kognitiven Tests deutlich besser ab als jene Kinder, die in ihren Familien blieben. In der Schule lasen und rechneten sie besser und sie schafften es auch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit aufs College.
Das gilt nicht nur für amerikanische Randmilieus, sondern auch für Deutschlands Mittelschicht: »Die frühkindliche Bildung hat einen ausgesprochen hohen Einfluss auf den späteren Bildungsweg«, folgert das Schweizer Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (BASS), das im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung mehr als tausend Kinder der Jahrgänge 1990 und 1995 untersucht hat. Krippenkinder besuchen demnach später sehr viel häufiger ein Gymnasium als solche, die ausschließlich zu Hause oder bei Tagesmüttern erzogen wurden. Der Anteil der Abiturienten betrug unter den Krippenkindern 50 Prozent, während er unter den in der Familie aufgezogenen Kindern nur bei 36 Prozent lag. Dabei hatte die Schulkarriere nichts damit zu tun, dass die Krippenkinder womöglich häufiger Eltern mit Abitur hatten.
Es lohnt sich nicht nur für die Kinder und ihre Familien. Das Geld in (gute) Kinderkrippen ist mehr als sinnvoll investiert – sogar aus der Sicht knallharter Ökonomen. Im Jahr 2000 hat James Heckman den Wirtschaftsnobelpreis für Forschungsarbeiten bekommen, die zu dieser Erkenntnis geführt hatten. »Jeder Dollar, der investiert wird, kommt vielfach zurück«, sagt Heckman. Weil Krippenkinder häufig einen höheren Schulabschluss erlangen und später mehr Geld verdienen, geben sie der Gesellschaft die Investition in die meist staatlich geförderten Kindertagesstätten zurück – zum Beispiel in Form höherer
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