Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
ebenso aufregenden wie schwierigen neuen Beziehungskiste. Wieso nur passierte das immer ihm? Sein Bruder war da ganz anders. Der würde auch eine noch so anziehende Frau lieber nicht mehr wiedersehen, als sich allzu schnell auf sie einzulassen.
Warum bin ich, wie ich bin? Diese Frage beschäftigt nicht nur diese beiden Brüder. Sie trifft alle Menschen in ihrem Kern. Woran liegt es, dass aus einem Bruder in Beziehungsfragen ein hilfloser Spielball seiner Emotionen wird und der andere seine Gefühle so stark kontrollieren kann, dass er Beziehungsprobleme schon deshalb nicht zu lösen braucht, weil er kaum je eine Partnerin findet? Wie viel davon ist Schicksal, wie viel tragen die beiden Brüder selbst dazu bei? Ist es vorherbestimmt, wenn aus einem süßen Neugeborenen ein rücksichtsloser Investmentbanker wird und aus dem anderen ein Entwicklungshelfer in den Hungerregionen der Welt?
Die Frage nach dem Warum beschäftigt wohl alle Menschen im Laufe ihres Lebens. Sie würden gerne wissen, welche Faktoren für die Entwicklung ihrer Persönlichkeit von Bedeutung waren, für das, was sie antreibt – oder auch scheitern lässt. Und besonders drängend wird die Frage zweifelsohne, wenn es gerade Anlass dazu gibt, über die eigenen Verhaltensmuster unglücklich oder mit sich selbst unzufrieden zu sein. Dann liegt auch gleich die weiterführende Frage auf der Zunge, die Persönlichkeitspsychologen seit Jahren intensiv zu ergründen versuchen: Können sich Menschen eigentlich ändern?
Die beiden Brüder waren jedenfalls schon als Babys so. Der zweite war kaum geboren, da zeigte sich bereits, wie unterschiedlich ihre Charaktere waren. Der eine mochte gerne auf den Arm genommen und liebkost werden, der andere war glücklich, wenn er allein in der Wiege lag und niemand an ihmherumfingern wollte. An diesem grundlegenden Kontaktbedürfnis änderte sich über die Jahre wenig – auch nicht, als die beiden erwachsen wurden. Der eine blieb extrovertiert, aktiv, engagiert, der andere eher zurückgezogen und in sich ruhend. »Schon bei kleinen Babys erkennt man erhebliche Unterschiede im Charakter. Manche sind schüchtern und ängstlich, andere emotional ausgesprochen stabil«, sagt auch die Resilienzforscherin Karena Leppert. Sie ist wie die meisten Fachleute, die sich mit den Ab- oder Hintergründen der menschlichen Persönlichkeit befassen, fest überzeugt: »Es gibt einen angeborenen Kern.«
Wir sind eben, was wir sind, möchte man meinen. Schon sehr früh im Leben, so glaubten Psychologen und Psychiater lange, sei die Persönlichkeit durch den Charakter eines Menschen festgelegt. Mit seinen Thesen zur großen Bedeutung der frühkindlichen Phase verstärkte Sigmund Freud diese Vorstellung noch, und in den Anfängen der modernen Genforschung wurde sie dann nahezu in Beton gegossen. Doch mittlerweile weiß man: Selbst wenn das Temperament und der Charakter eines Babys unübersehbar sind und seine grundlegenden Eigenschaften bis ins Erwachsenenalter relativ konstant bleiben, so ist dies nicht allein auf seine Erbanlagen zurückzuführen. Die Gene sind nur die Bühne, auf denen der Mensch tanzen kann (siehe Seite 130 ff.).
Dass man trotzdem bei einem Jahrgangstreffen selten von der Entwicklung seiner alten Klassenkameraden komplett überrascht wird, liegt auch daran, dass die Persönlichkeit eines jungen Menschen durch viele äußere Faktoren zementiert wird. So legen Eltern, Verwandte und Bekannte das Kind immer wieder auf seine Rolle als schüchternes oder eben als sehr kommunikatives Wesen fest. Und wenn das Kind größer wird, bastelt es sich seine Welt durch die Wahl seines Berufs und seines Freundeskreises oft weiter so zurecht, dass das liebgewonnene Bild vom eigenen Charakter erhalten bleibt. Schließlich gibt es auch Sicherheit, wenn man glaubt zu wissen, wer und wie man ist.
Auf diese Weise verstärken sich Eigenschaften oft: Intelligente Menschen suchen sich meist Anregungen und befördernihre geistigen Fähigkeiten so noch, betont etwa die Entwicklungspsychologin Emmy Werner. Und wer schüchtern ist, geht nicht so offen auf andere zu; Begegnungen mit Fremden werden dadurch mit der Zeit noch furchteinflößender. Man bleibt erst recht lieber allein zu Haus.
Lässt sich also vorhersagen, wie ein Mensch, wenn er erst einmal erwachsen geworden ist und die prägenden Faktoren aus Genen, Erziehung und Bildung ihre Spuren hinterlassen haben, in einer bestimmten Situation reagieren wird? Das würden nicht nur viele
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