Resturlaub
der Ledercouch kurz über seinen Architectural Digest herüberschielt. Auch ich halte den Atem an. Einen Vorteil hat mein Kater von gestern: Mir ist viel zu schlecht, als dass ich aufgeregt sein könnte. Als Luna mich sieht, legt sich eine Mischung aus Freude und Irritation über ihr Gesicht. Woher die Irritation kommt, ahne ich. Es ist der Pullover .
»Peter?!«
Ich stehe auf und gebe ihr einen Kuss auf die Wange.
»Luna! Was macht der Magen, alles wieder gut?«
Statt >Alles wieder gut< oder >Schön dich zu sehen< sagt Luna »Was um alles in der Welt hast du da an?« Von der Seite höre ich noch das Designerpärchen giggeln, da werde ich schon aus dem Cafe geführt.
Der Verkäufer im Felix ist sehr zuvorkommend und spricht Englisch. Ich kaufe das teuerste Hemd. Es ist grün gestreift, macht mich sehr schlank und ich denke, dass ich damit sogar Polo spielen dürfte. Heidis Schinkenwurst-Masern-Pullover verstecke ich unauffällig in der Felixtüte.
Eine Viertelstunde später sitze ich mit einer entspannteren Luna wieder im Mark's Deli.
»JETZT können wir frühstücken! Steht dir wirklich gut!«
Entspannt nimmt Luna die kleine Menukarte.
»Danke!« Ich schaue an meinem 200-Peso-Hemd herunter.
»Tut mir Leid, dass ich am Anfang so distanziert war. Ich lerne so viele Leute kennen in der Schule, aber . na ja . nach zwei bis vier Wochen fahren alle wieder.«
»Nach Europa .«
»Nach Europa, in die USA ... keiner bleibt. Manchmal kommt noch eine Mail oder zwei, das war's. Keiner schreibt mehr. Argentinien ist weit weg, weißt du?«
Ich weiß.
Eine kleine, ziemlich genervte Kellnerin stellt sich neben uns und wartet mit einem Notizblock darauf, dass wir sagen, was wir wollen. Luna streift mit ihrem Finger über die Karte. Ihre Nägel sind im gleichen Weiß wie ihr Hosenanzug.
»Por favor, nos trae dos muffins, tambien dos jugos de frutilla y dos cortados.«
»Para mi ...«, beginne ich hochkonzentriert, als Luna amüsiert ihre Hand auf meine legt.
»Ich hab schon mitbestellt für dich.«
»Oh!«
»Ich wollte einfach keine Vier-Wochen-Freunde mehr, verstehst du?«
»Verstehe ich!«
»Wo wohnst du eigentlich im Augenblick?«
»Im Hilton!«
Ich weiß nicht, warum ich Hilton sage. Wahrscheinlich, weil es besser klingt als: >Ich wohne bei einem Tierfriseur mit Mutterkomplex in einem pinken Zimmer ohne Fenster.<
»Toll! Dem Neuen am Puerto Madero?«
»Also, so lange, bis ich was Richtiges gefunden habe!«
»Nicht schlecht. Dann sehen wir uns bestimmt mal beim Sport. Du machst doch Sport, oder?«
»Ja, super gerne. Aber wieso sehen wir uns dann?«
»Ich bin im Hilton-Fitnessclub. Der Beste von ganz Buenos Aires, aber das wirst du ja selbst schon rausbekommen haben.«
»Ja«, nicke ich und beiße verschüchtert in meinen Muffin, »ist schon ein starkes Stück, was die da gebaut haben im Hilton!«
Die genervte Kellnerin rettet mich mit den frisch gepressten Orangensäften und ich kann das Gespräch auf das Thema Sprachschule lenken. Luna erzählt mir, dass die Schule schlecht bezahlt und dass die Ausländer ganz schön ausgenommen werden.
»Wie? Ich auch?«
»Ups«, lacht Luna, »für eine Sekunde hab ich vergessen, dass du ja Schüler bei uns bist!«
»Bei Nico!«
»Wie ist der so?« »Klasse! Nur Heidi .«
»Heidi!!!«, lacht Luna und zwinkert mir zu: »Du bist doch nicht verliebt, oder?«
»Das«, sage ich trocken und mit gespielter Betroffenheit, »wollte ich dir eigentlich noch vor unserem Treffen erzählen .«
Für einen kurzen Augenblick sehe ich Luna irritiert. Ich muss zugeben, dass ich es genieße.
»Was?«
»Heidi und ich, wir sind . wir sind ein Paar!«
Lange kann ich mein ernstes Gesicht leider nicht halten und wir müssen beide so laut losprusten, dass uns sogar das Designerpärchen milde zulächelt. Dann beginnt der relaxte Teil des Frühstücks. Und noch während ich unsere Rechnung über 37 Pesos bezahle, nimmt Luna zum ersten Mal kurz meine Hand.
Wer hat an der Uhr gedreht?
ES WAR LUNAS IDEE, zum Friedhof von Recoleta zu fahren und vermutlich hätte ich diese Sehenswürdigkeit erst sehr viel später besichtigt, wäre ich allein gewesen. Schließlich treibt es einen nicht automatisch an einen Ort des Todes, wenn man gerade dabei ist, ein neues Leben zu beginnen. Der Cementerio de la Recoleta ist ein gemauerter Irrgarten aus mehr oder weniger prächtigen Mausoleen, die sich dicht aneinanderreihen. Ausgerechnet im Zentrum eines der quirligsten und touristischsten Viertel der
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