Resturlaub
zwischen Brasilien und Argentinien nicht gerade von der größten Sympathie geprägt. So wie das zwischen mir und Heidi. Deswegen bin ich auch nicht allzu erfreut, als ich am Morgen bei ihr aufwache.
Gäschdezahnbürschdle
»ISCH DR ARG SCHLECHT?«
Das Entsetzen muss sich wohl recht eindrucksvoll in mein Gesicht gefräst haben, als ich die Augen öffne und Heidi in einem riesigen gelben T-Shirt mit Bärchenaufdruck sehe. Mit einer Tasse Kaffee sitzt sie am Rande einer mir unbekannten Couch.
»Ja«, sage ich, »arg schlecht«, und quäle mich in eine aufrechte Position. Dann plötzlich passiert etwas mit meinem Magen und als ich würgend aus dem mir unbekannten Wohnzimmer taumle, bin ich sehr dankbar für Heidis Hinweis: »Erschde Tür links!«
Ich kotze in einen Eimer in der Abstellkammer, denn wie sich herausstellt, zählt Heidi die »kleine Tür« nie mit und das Klo wäre doch die zweite Tür links gewesen. Als ich den Eimer säubere, muss ich mich noch einmal übergeben, diesmal ins Waschbecken. Ich putze auch dieses, als Heidi ins Bad kommt.
»Tut mir Leid«, entschuldige ich mich.
»Halb so wild! Kaffee?«
Ich schüttle angewidert den Kopf und ein fieser, dumpfer Schmerz schwappt von einem Ohr zum anderen. Ich hab nicht den geringsten Schimmer, warum ich hier bin. Klassischer Filmriss. Wenigstens bin ich nicht im Bett von Heidi aufgewacht.
»Du warsch geschdern gar nemme asprechbar, do hanne denkt, i nemm de lieber mit!«
»Das ist nett. War ich denn schlimm?«, frage ich schüchtern.
»Eigentlich warsch eher charmant! Do, i hab a Gäschdezahn-bürschdle!«
Heidi reicht mir eine eingeschweißte Zahnbürste und öffnet sie sogar für mich, da ich sie nicht aufkriege. Ich will gar nicht wissen, wie charmant ich war. Nicht auszudenken, wenn da was passiert wäre!
»Danke!«
Und dann fällt mein Blick auf einen Plastikwecker, ein Werbegeschenk der Stuttgarter Nachrichten.
Es ist halb elf.
Luna!
Um elf bin ich mit ihr verabredet. Mit wirrem Blick und schäumender Zahnbürste starre ich auf Heidi.
»Ich muss los!«
Heidi zuckt mit den Schultern.
»Ja, i halt de net uff! I wollt bloß helfa!«
Weil mein Tangohemd nach Absinth und Kippen stinkt und zwei Brandlöcher hat, leiht mir Heidi einen ihrer Pullover. Zunächst weigere ich mich, doch ich merke schnell, dass ich keine Wahl habe. Immerhin sehe ich nun nicht mehr aus wie ein versoffener Penner, sondern wie eine Schinkenwurst mit Masern: Mein Leihpullover besticht durch dezente rote Punkte auf einem beigen Untergrund. Nach einem weiteren Liter Wasser und zwei Aspirin schnappe ich mir ein Taxi und rase nach Palermo. Wie ich mir die Adresse El Salvador y Armenia gemerkt habe, wird wohl eines der ungelösten Rätsel meines Gehirns bleiben.
Eine halbe Stunde später sitze ich im Mark's Deli vor einem Latte Macchiato wie ein Lurch vor einem Stapel Winterreifen. Um mich herum nur die schicksten Leute: Die Herren stecken in lässigen Anzügen mit italienischem Schnitt, die Damen sind perfekt geschminkt, tragen teure Designerfummel und nippen an kalorienreduzierter Zitronenlimonade. Mark's Deli selbst könnte sich ebenso gut in einem New Yorker Modeviertel befinden, es würde nicht mal auffallen: minimalistisch, edel, hip. Ich hingegen bin schon aufgefallen, da habe ich mich noch nicht einmal gesetzt. Offenbar sieht man schon von weitem, dass in meinem geliehenen Fleischwurst-Masern-Pullover kein Etikett von Armani kleben kann.
Luna ist auch eine Viertelstunde nach elf noch nicht da und ich bin nicht mal sauer deswegen, weil ich so in meinem orangenen Plastikstuhl neben der geöffneten Eingangstür jede Sekunde der Rekonvaleszenz genießen kann. Mir schräg gegenüber, auf einem Ledersofa, sitzt ein gestylter Typ Mitte vierzig und liest in einer Architekturzeitschrift. Nach einer Weile betritt eine übertrieben gut gelaunte Blondine in einer Designerjeans das Cafe und nachdem sich beide hoch erfreut und für alle ersichtlich begrüßt und geküsst haben, setzen sie sich auf die Couch und lesen, ohne sich eines weiteren Blickes zu würdigen, er in seiner Architekturzeitschrift, sie in der Caras, offenbar eine Art argentinische Gala. Was für eine kalte Welt!
Und dann kommt Luna.
Sie trägt einen eng anliegenden, weißen Hosenanzug, der mit ihrer samtig braunen Hautfarbe kontrastiert. Ihre Haare hat sie zum Zopf gebunden, was sie etwas strenger wirken lässt, der Reißverschluss am Ausschnitt ist so weit nach unten gezogen, dass selbst der Snob auf
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