Rette meine Seele - Vincent, R: Rette meine Seele
tut mir leid.“ Onkel Brendon schloss die Tür hinter sich. „Sie ist … Sie leidet immer noch.“
Und das lässt sie uns alle spüren.
Eine halbe Stunde später saßen wir alle um den winzigen quadratischen Tisch in der Wohnküche. Der Tisch war so klein, dass unsere Teller gerade so Platz fanden. Und wer einen Nachschlag wollte, musste aufstehen und sich aus den Töpfen bedienen. Doch wenn ich mir Sophies Teller so ansah, würde es heute wohl keinen Nachschlag geben: Der Tellerrand war von kleinen Papierfetzen übersät, die sie aus dem Essen gepult hatte. Dad hatte nämlich vergessen, das Papier von den Käsescheiben abzuziehen, die er in die Lasagne geschichtet hatte.
Wäre es meinem Vater nicht so peinlich gewesen, hätte ich über den angeekelten Gesichtsausdruck gelacht, mit dem sie einen aufgeweichten Fetzen nach dem anderen aus dem Essengezogen hatte. Aber es war sowieso kein Drama, denn Sophie aß nie sonderlich viel und hatte seit dem Tod ihrer Mutter noch mehr an Gewicht verloren.
Wir redeten nicht viel beim Essen, aber das gutmütige Schmunzeln meines Onkels, mit dem er ein Stück Papier nach dem anderen aus der Lasagne zog und in der Serviette verschwinden ließ, lockerte die angespannte Stimmung zumindest kurzfristig auf. Wofür ich ihm unglaublich dankbar war.
Nash und ich brachen gleich nach dem Essen auf und versprachen, um halb elf zu Hause zu sein. Wir mussten mein Auto nehmen, weil Nashs Mutter ihres heute selbst brauchte. Obwohl ich noch nicht oft in Dallas gewesen war, geschweige denn in Addisons Hotel, kamen wir heil dort an.
Dunkle, reich verzierte Möbel und riesige Kronleuchter schmückten die Lobby des Adolphus, und in Jeans und Turnschuhen kam ich mir plötzlich reichlich underdressed vor.
Zum Glück kam Todd uns entgegen, bevor wir den hochnäsigen Typen hinter der Rezeption nach „Lisa Hawthornes“ Zimmernummer fragen mussten. Todd trug auffallend saubere und unversehrte Jeans, darüber ein faltenfreies Hemd, unter dem das unvermeidliche schwarze T-Shirt hervorblitzte. Ohne große Worte zu verlieren, bugsierte er uns in den erstbesten Aufzug.
„Sie ist ziemlich nervös, also seid nett zu ihr“, sagte er, als der Aufzug losfuhr.
„Da ist sie nicht die Einzige“, erwiderte ich. Mit zitternden Fingern strich ich meinen Pferdeschwanz glatt und überlegte, ob ich die Haare lieber hätte offen tragen sollen. Oder ob ich die Schuhe hätte abtreten sollen, ehe ich die Lobby betreten hatte. Aber das exklusive Ambiente des Hotels war nicht der eigentliche Grund für meine Nervosität.
Ich hatte an diesem Nachmittag einen Blick in die Unterwelt riskiert und wollte es auf keinen Fall so bald wiederholen. Doch der Gedanke an die Schattenwelt jagte mir weniger Angst ein als der, dass Addison Page bis in alle Ewigkeit dort bleiben musste. Ganz egal, ob sie ihre Seele freiwillig verscherbelt hatte.
Todd hatte recht: Sie hatte nicht gewusst, worauf sie sich da einließ. Woher auch.
Der Aufzug hielt, und die Türen glitten geräuschlos auseinander. Wir folgten Todd einen langen, mit dickem Teppich ausgelegten Flur hinunter, von dem sicher ein Dutzend Türen abgingen. Vor der letzten Tür direkt neben dem Notausgang blieb Todd stehen.
„Wartet kurz.“ Er löste sich in Luft auf und ließ Nash und mich wie zwei Trottel im Flur stehen. Blieb nur zu hoffen, dass niemand herauskam, um zu fragen, ob wir unseren Schlüssel verloren hätten. Oder um den Sicherheitsdienst zu rufen.
Wer, ich? Paranoid?
Allerdings.
Kurz darauf wurde die Tür von innen geöffnet, und ich betrat zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit die Privaträume von Addison Page, dem Rockstar. In einem kurzen Anflug von Panik befürchtete ich, dass sie gar nicht mit uns rechnete. Dass Todd sich das Treffen nur ausgedacht hatte! Doch Addison stand mit rot geweinten Augen im Wohnzimmer und schien keineswegs überrascht zu sein, uns zu sehen. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
„Danke, dass ihr gekommen seid“, sagte sie und bat uns, auf dem Sofa Platz zu nehmen. „Ihr fragt euch bestimmt, ob ich eure Hilfe überhaupt verdiene, und ehrlich gesagt bin ich mir da selbst nicht so ganz sicher.“
Sie hatte recht, die Frage stellte sich, aber ihr Zugeständnisbestärkte mich nur in dem Wunsch, ihr zu helfen – um ihretwillen, und nicht nur, um den Tod der Mädchen zu rächen, die meine Tante zu ewiger Folter verdammt hatte.
„Doch, das bist du wohl!“ Todd bugsierte Addy mit sanfter Gewalt zu einem der Sessel
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