Rette meine Seele - Vincent, R: Rette meine Seele
schweifte in die Ferne, während sie in ihrer Erinnerung suchte. „Wir standen in einem Zimmer mit weißem Marmorfußboden. Die Wände waren nicht zu sehen, so groß war es. Aber unsere Stimmen hallten, deshalb wusste ich, dass es Wände geben musste. Und am Anfang hing dieser seltsame graue Nebel über allem, der sich ganz plötzlich gelichtet hat, als wäre er nie da gewesen. Aber ich weiß genau, dass ich ihn gesehen habe …“
Nash und Todd wechselten einen vielsagenden Blick, doch auf meine unausgesprochene Frage hin schüttelte Nash lediglich den Kopf. „Was ist passiert, als sich der Nebel gelichtet hat?“
„Zuerst gar nichts.“ Addy sah von mir zu Todd. „Dann hörte ich Schritte und sah jemanden auf uns zulaufen.“
„War das der Hellion?“ Todds Stimme zitterte. „Wie sah er aus? Du musst uns alles erzählen!“
Addy schloss konzentriert die Augen. „Er sah ziemlich normal aus. Wie ein Geschäftsmann. Schwarzer Anzug, braune Haare. Ich war froh, weil er gar nicht unheimlich aussah. Aber dann sah ich seine Augen. Sie waren schwarz. Ganz schwarz!“ Erschrocken riss sie die Augen auf. „Als hätte ihm jemand schwarze Kugeln in den Kopf gesteckt, ohne Pupille oder Iris. Es sah wirklich unheimlich aus. Ich konnte nicht mal erkennen, ob sie sich bewegen und er mich ansieht.“
Wieder sahen Todd und Nash einander an. „Und dann?“
„Dann hat er mich geküsst.“ Addison versagte die Stimme, und sie begann, am ganzen Leib zu zittern. Erst als Todd aufstand und zum Schrank hinüberging, blickte sie auf.
„Geht es dir gut?“, fragte ich, während Todd eine Decke aus dem Schrank nahm.
„Ja.“ Addison lächelte Todd dankbar an, als er ihr die Deckeumlegte und sie sorgsam festzog. „Ich möchte nur nicht darüber nachdenken, was ich getan habe. Was ich ihm erlaubt habe.“
Ich nickte mitfühlend.
„Okay. Er hat dich also geküsst …“, sagte Nash.
„Ja, aber es war kein richtiger Kuss.“ Addison zog die Decke fester um die Schultern. „Er hat den Mund aufgemacht und an mir … gesaugt, als wäre ich ein menschliches Eis am Stiel. Es fühlte sich an, als hätte ich einen Wirbelsturm verschluckt. Als hätte er etwas aufgescheucht, was jetzt in mir herumraste. Dann schoss es direkt durch meine Lippen in ihn hinein.“
Wow. Das nannte ich einen Kuss.
„Als es vorbei war, zitterte ich vor Kälte am ganzen Körper.
Ich fühlte mich so leer, dass ich Angst hatte, mein Körper würde gleich in sich zusammenfallen, wie ein riesiges Vakuum. In dem Moment wusste ich, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Aber es war zu spät.“
Addy zitterte so sehr, dass sie sich die halbe Cola über die Hose schüttete. Sie stellte die Dose angewidert auf den Tisch und klemmte die Hände zwischen die Knie, um das Zittern zu unterdrücken. „Der Mann – der Hellion – hat sich die Lippen geleckt, als hätte es ihm geschmeckt. Sein Lächeln war widerwärtig. Ich fühlte mich so schmutzig!“
Hektisch wischte sie sich die Handflächen an der Hose ab. „Dann beugte er sich vor und küsste mich wieder, aber diesmal atmete er aus, in meinen Mund, und sein Atem hatte eine zähe, dicke Konsistenz.“
Sie schloss die Augen und rieb sich hektisch übers Gesicht, wie um die Erinnerung zu vertreiben. Doch ich wusste aus eigener Erfahrung, dass es nicht funktionierte. Die schlimmen Erinnerungen vergessen wir nie, die schönen dagegen schon.
„Mir war vorher schon kalt, aber das war gar nichts im Vergleichzu seinem Atem. Er erfüllte meinen ganzen Körper mit Kälte. Der Dämon hat das, was er mir genommen hat, durch einen Teil von sich selbst ersetzt. Ich konnte ihn durch mich hindurchströmen fühlen. Er kundschaftete mich aus, und alles, was er berührte, wurde zu Eis. Als er fertig war und ich ausatmete, kondensierte mein Atem in weißen Wolken vor dem Gesicht, als wäre es mitten im Winter. Ich hatte zwei Tage lang Zähneklappern. Aber das Schlimmste war die Kälte.“ Zitternd kuschelte sie sich noch enger in die Decke. „Diese schreckliche, leere Kälte, die mich von innen her auffraß.“
„Wann hat es aufgehört?“, flüsterte ich entsetzt.
Addison lächelte mit ausdrucksloser Miene, griff sich ans Auge und hob das linke Lid an. Mit Daumen und Zeigefinger griff sie sich ins Auge, holte etwas heraus und legte es in ihre Handfläche. Es war eine Kontaktlinse.
„Wann die Kälte nachgelassen hat?“ Sie blinzelte und sah mich an. Ihr Auge war weiß, einfach nur weiß, ohne Pupille und ohne Iris.
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