Rette meine Seele - Vincent, R: Rette meine Seele
Kleingedruckten.“ Die Reaperin verschränkte die Arme vor ihrem ausgemergelten Körper und musterte Regan verächtlich. „Du bist ja wohl alt genug zum Lesen, oder?“Dekker legte der Frau eine Hand auf den Unterarm, und sie sank in sich zusammen, als habe er einen Ausschalter gedrückt. „Mit deinen Augen ist alles in Ordnung, Regan.“ Seine Stimme war kühl und glatt, aber nicht im Entferntesten so beruhigend wie Nashs. „Das ist nur eine Nebenwirkung des Vorgangs, für die es eine einfache Lösung gibt. Habe ich nicht recht, Addison?“
Dekker sah die ältere Page-Schwester fragend an, doch sie starrte nur wütend zurück und presste die Lippen aufeinander. Er griff in die Tasche und zog zwei kleine weiße Schachteln hervor, die er Regan reichte. „Die müssten passen. Die Farbe kommt deiner echten Augenfarbe ziemlich nahe. Du bekommst von mir persönlich alle sechs Monate neue geliefert. Diese müssten bis dahin halten. Geh bitte pfleglich damit um.“ Er blinzelte ihr aus seinen unscheinbaren braunen Augen zu. „Die Dinger sind nicht gerade billig.“
Regans leere Augen füllten sich mit Tränen, und zum ersten Mal in meinem Leben fürchtete ich mich vor einer weinenden Achtklässlerin. Der Gegensatz zwischen ihren allzu menschlichen Tränen und den ausgesprochen unmenschlichen Augen jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken.
„Bleiben die so?“ Zögernd machte sie einen Schritt Richtung Spiegel, blieb aber schnell wieder stehen. „Warum sehen die so leer aus?“
„Weil sie genau das sind“, antwortete Todd plötzlich hinter uns.
Ich drehte mich überrascht um. Neben dem Reaper stand ein kleiner, rothaariger Junge, der ihm kaum bis zur Schulter reichte.
„Die Augen sind die Fenster zur Seele, und ohne deine Seele gibt es nichts, was sie widerspiegeln könnten“, erklärte Todd.
Die Reaperin neben Dekker fuhr merklich zusammen, als sie die beiden sah. Fürchtete sie sich etwa vor Todd?
„Hast du noch mehr Brüder?“, flüsterte ich Nash zu. „Und hatte dein Dad rote Haare?“
„Das ist Levi“, antwortete Nash, auch flüsternd, und der kleine Junge nickte mir freundlich zu. Die Hände hatte er in den Taschen seiner ausgebeulten Baumwollhose vergraben.
„Levi, der Reaper?“ Meine Stimme klang peinlicherweise ganz piepsig, so überrascht war ich. Nach all den abgefahrenen Dingen, die ich in den letzten Wochen erlebt hatte, hätte mich der Anblick eines sommersprossigen kleinen Reaperjungen eigentlich nicht aus der Fassung bringen dürfen. Er tat es trotzdem. „Todds Chef, Levi, der Reaper. Der Levi?“
„Höchstpersönlich, ja.“ Levi schenkte mir ein entwaffnend freundliches Lächeln, das seine Augen jedoch nicht erreichte. Dann bedachte er die diebische Reaperin mit einem glühenden Blick. „Bana.“
Allein diese beiden Silben – ihr Name, ausgesprochen von der hohen, sanften Stimme eines Kindes – ließen die Reaperin erstarren. Ihre Finger begannen zu zittern, und sie schien sich nicht mehr bewegen zu können.
„Ich habe mich schon gefragt, wer es wohl sein würde, aber mit dir habe ich ehrlich gesagt nicht gerechnet.“ Levi schlenderte auf sie zu. Er sah aus wie ein Kind, das im Park spazieren geht. Und mir kam der absurde Gedanke, dass er einen Ball oder ein Skateboard unter dem Arm tragen sollte. Einen Meter vor Bana und ihrem Chef blieb er stehen. John Dekker würdigte er nur eines flüchtigen Blickes, als erkenne er eines der berühmtesten Gesichter auf der ganzen Welt nicht.
„Wer ist das?“, fragte Dekker.
Ohne Banas Antwort abzuwarten – wenn sie denn eine gegebenhätte –, zog der Junge die sommersprossige Hand aus der Hosentasche und streckte sie Dekker hin. „Levi Van Zant. Leitender Reaper dieses Bezirks. Ich bin hier, um Bana von ihren Aufgaben zu entbinden – und von ihrer Seele.“
Bana spannte den ganzen Körper an, und ich begriff, dass sie sich von hier wegzaubern wollte, weg von Levi. Mir stockte der Atem. Wir durften sie auf keinen Fall entkommen lassen! Andererseits … spielte es überhaupt noch eine Rolle? Wir waren sowieso zu spät gekommen. Doch obwohl die Reaperin sich offenbar höllisch anstrengte, sich in Luft aufzulösen, stand sie weiterhin vor uns.
Bevor ich mich – und Bana sich wahrscheinlich auch – vom Schreck erholen konnte, schoss Levis kleine Hand nach vorne und packte Bana am Handgelenk. Seine Finger reichten kaum um ihren Arm herum, doch sein Griff musste höllisch fest sein, denn sie verzog vor Schmerz
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