Rette mich
einfach, ich weiß. Und jetzt bin ich nur am Schwafeln«, sagte sie. Dann, leise: »Trotzdem, ich hätte schwören können …«
Meine Zimmertür knarrte und öffnete sich, und Mom steckte den Kopf herein. »Ich gehe jetzt ins Bett.« Ihre Augen wanderten zum BlackBerry. »Es wird langsam spät, und wir brauchen beide unseren Schlaf.« Sie stand abwartend da, und ich verstand ihre versteckte Botschaft.
»Vee, ich muss jetzt aufhören. Ich ruf dich morgen an.«
»Schick der Hexe meine besten Grüße«, sagte sie und legte auf.
»Brauchst du noch etwas?«, fragte Mom und nahm mir nebenbei den BlackBerry weg. »Wasser? Noch ein paar Decken?«
»Nein, mir geht’s gut. Nacht, Mom.« Ich zwang mich zu einem schnellen, aber beruhigenden Lächeln.
»Hast du dein Fenster noch einmal überprüft?«
»Dreimal.«
Sie durchquerte den Raum und rüttelte trotzdem am Schloss. Als sie es gesichert vorfand, lachte sie schwach. »Schadet ja nicht, noch einmal nachzusehen, oder? Gute Nacht, Baby«, setzte sie hinzu, glättete mein Haar und küsste mich auf die Stirn.
Nachdem sie den Raum verlassen hatte, rollte ich mich unter der Bettdecke zusammen und grübelte über alles nach, was Vee gesagt hatte. Eine Schießerei im Delphic, aber warum? Was hatte der Schütze gewollt? Und warum hatte er, unter den vermutlich tausenden von Menschen im Park in jener Nacht, mich als seine Geisel gewählt? Vielleicht hatte ich einfach Pech gehabt, aber es kam mir nicht so vor. Das Unbekannte wirbelte in meinem Kopf herum, bis ich erschöpft war. Wenn ich nur …
Wenn ich mich doch nur erinnern könnte.
Mit einem Gähnen legte ich mich zum Schlafen zurecht.
Fünfzehn Minuten tickten vorbei. Dann zwanzig. Ich drehte mich auf den Rücken und starrte leicht schielend an die Zimmerdecke, in dem Versuch, meine Erinnerung hinterrücks zu überraschen und zu überrumpeln. Als das keine Resultate zeitigte, probierte ich einen etwas direkteren Weg. Ich schlug meinen Kopf aufs Kissen und versuchte, ein Bild loszuschütteln. Einen Satz in einer Unterhaltung. Einen Geruch, der Ideen zünden könnte. Irgendetwas! Aber es wurde schnell klar, dass anstelle von irgendetwas ich mich mit überhaupt nichts würde zufriedengeben müssen.
Als ich heute Morgen das Krankenhaus verlassen hatte, war ich sicher gewesen, dass meine Erinnerungen für immer verloren waren. Aber mit klarem Kopf und nachdem ich den schlimmsten Schock hinter mir hatte, begann ich, meine Meinung zu ändern. Ich spürte, ganz deutlich, eine zerstörte Brücke in meinem Bewusstsein, und die Wahrheit lag auf der anderen Seite des Abgrunds. Wenn ich dafür verantwortlich war und die Brücke aus Abwehr gegen das Trauma, das ich während meiner Entführung erlitten hatte, verbrannt hatte, dann konnte ich sie sicher auch wieder aufbauen. Ich musste nur noch herausfinden wie.
Angefangen mit der Farbe Schwarz. Tiefes, dunkles Schwarz wie aus einer anderen Welt. Ich hatte es noch niemandem gesagt, aber diese Farbe tauchte in den unpassendsten Momenten in meinem Bewusstsein auf. Wenn das geschah, lief mir ein angenehmes Zittern über die Haut, und es war, als könnte ich fühlen, wie die Farbe zärtlich mit einem Finger meinen Kiefer entlangfuhr und mein Kinn anhob, damit ich sie direkt ansah.
Ich wusste, dass es absurd war zu denken, dass eine Farbe lebendig werden konnte, aber ein- oder zweimal war ich sicher, dass ich den Blitz von etwas Substanziellerem hinter der Farbe aufgefangen hatte. Ein Paar Augen. Die Art, wie sie mich ansahen, ging mir bis ins Herz.
Aber wie war es möglich, dass etwas, das mir in dieser Zeit verloren gegangen war, mir Wohlgefühl bereitete und nicht Schmerz?
Ich atmete langsam aus. Ich fühlte die verzweifelte Notwendigkeit, der Farbe zu folgen, wo auch immer sie mich hinführte. Ich sehnte mich danach, diese schwarzen Augen zu finden, direkt vor ihnen zu stehen, von Angesicht zu Angesicht. Ich sehnte mich danach zu wissen, wem sie gehörten. Die Farbe zog an mir, forderte mich auf, ihr zu folgen. Vernünftig betrachtet, ergab es keinen Sinn. Aber der Gedanke hatte sich in meinem Bewusstsein festgesetzt. Ich spürte ein hypnotisches, besessenes Verlangen, mich von der Farbe führen zu lassen. Eine mächtige Anziehung, die nicht einmal die Logik brechen konnte.
Ich ließ zu, dass sich dieses Verlangen so weit in mir aufbaute, dass es mächtig unter meiner Haut vibrierte. Mir wurde unangenehm heiß, und ich warf meine Decken ab. Mein Kopf summte, ich wälzte mich hin
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