Rette mich
befreundet war, weil sie in derselben Gegend wohnten. Ihre Verbindung bestand lediglich aus der Tatsache, dass sie sich denselben Lebensstil leisten konnten. Gleich und gleich gesellt sich gern – besonders, wenn man Geld hat.
»Fangt gar nicht erst damit an«, sagte Marcie, aber das Lächeln in ihrer Stimme verriet ganz klar, dass sie sich von ihrer Enttäuschung geschmeichelt fühlte. »Meine Mom braucht mich. Ausgehabend für die beiden Mädchen.«
»Ist sie … ich meine … deprimiert?«, fragte das Mädchen, das ich für Addyson hielt.
»Was glaubst du denn?« , lachte Marcie. »Sie hat das Haus bekommen. Sie ist weiterhin Mitglied im Yachtclub. Und sie hat meinen Vater dazu verdonnert, ihr einen Lexus SC 10 zu kaufen. Der ist einfach klasse! Und ich schwöre, die Hälfte der alleinstehenden Männer im Ort hat bereits angerufen oder ist vorbeigekommen.« Marcie zählte all diese Dinge so fließend an ihren Fingern ab, dass ich nicht anders konnte, als anzunehmen, dass sie diese Ansprache vorher geprobt hatte.
»Sie ist so hübsch«, seufzte Cassie.
»Genau. Mit wem auch immer mein Vater anbändelt, es wird in jedem Fall eine deutliche Verschlechterung.«
»Hat er denn schon mit jemandem angebändelt?«
»Noch nicht. Meine Mutter hat überall Freunde. Irgendjemand hätte was gemerkt. Also«, wechselte sie mit klatschsüchtiger Stimme das Thema, »habt ihr die Nachrichten gesehen? Über Nora Grey?«
Meine Knie wurden etwas weicher, als mein Name genannt wurde, und ich legte eine Hand an die Wand, um mich zu stützen.
»Sie haben sie auf dem Friedhof gefunden, und es heißt, sie könnte sich an nichts erinnern«, sprach Marcie weiter. »Es heißt, sie wäre so durcheinander, dass sie sogar vor der Polizei davongerannt ist. Sie dachte, sie würden ihr wehtun.«
»Meine Mutter sagt, ihr Entführer hat ihr wahrscheinlich eine Gehirnwäsche verpasst«, sagte Cassie. »So wie ein ekliger Typ ihr hätte einreden können, dass sie verheiratet wären.«
»Ihh!«, sagten sie alle gleichzeitig.
»Was auch immer passiert ist, sie ist jetzt zweite Wahl«, sagte Marcie. »Auch wenn sie sagt, dass sie sich an nichts erinnern kann, weiß sie in ihrem Unterbewusstsein doch, was geschehen ist. Sie wird diese Last den Rest ihres Lebens mit sich herumtragen. Sie könnte sich genauso gut in gelbes Klebeband einrollen, wo draufsteht ›Betreten verboten‹.«
Sie kicherten. Dann sagte Marcie: »Zurück zum Unterricht, Mädels. Ich habe keine Entschuldigungen für Zuspätkommen mehr übrig. Die Sekretärinnen schließen sie immer in ihren Schubladen ein. Miststücke.«
Ich wartete lange Zeit, nachdem sie hinausgegangen waren, nur um sicherzugehen, dass der Waschraum und der Flur leer sein würden. Dann ging ich rasch durch die Tür. Ich ging, so schnell ich konnte, den ganzen Weg bis zum Ende des Flurs, drängte mich durch den Ausgang und fing an, zum Schülerparkplatz zu rennen.
Ich ließ mich in den Volkswagen fallen, wobei ich mich fragte, warum ich irgendwann geglaubt hatte, einfach so zurück in mein Leben walzen zu können. Wie hatte ich erwarten können, dort weiterzumachen, wo mein Leben aufgehört hatte?
Genau das war es nämlich. Es hatte nicht aufgehört.
Es war ohne mich weitergegangen.
Sieben
I ch zog mich für das Abendessen mit Hank und meiner Mutter um und wählte meine Garderobe sehr sorgfältig: flache Schuhe und ein wogendes Zigeunerkleid, das mir bis oberhalb der Knie reichte.
Es war hübscher, als Hank es verdiente, aber ich hatte Hintergedanken. Ich hatte für heute Abend ein zweifaches Ziel. Erstens wollte ich, dass meine Mutter und Hank sich wünschten, sie hätten mich nie eingeladen. Zweitens wollte ich kristallklar machen, was ich von ihrer Beziehung hielt. Ich war schon dabei, im Kopf meinen Vortrag durchzugehen, den ich stehend und mit voller Lautstärke halten und der damit enden würde, dass ich Hank mit seinem eigenen Glas Wein begoss. Heute Abend hatte ich vor, Marcies Diven-Königinnen-Thron zu usurpieren, zum Teufel mit meiner Wohlerzogenheit.
Aber das Wichtigste zuerst. Ich musste Mom und Hank davon überzeugen, dass ich in der Verfassung war, in die Öffentlichkeit mitgenommen zu werden. Wenn ich bereits Schaum vor dem Mund hatte und mit einem T-Shirt bekleidet war, auf dem stand LIEBE IST SCHEIssE , sobald ich aus meinem Zimmer kam, dann würde aus meinem Plan nie etwas werden.
Ich hatte eine halbe Stunde unter der Dusche verbracht, mit heißem Wasser, das auf jeden
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