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Rette mich

Rette mich

Titel: Rette mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Becca Fitzpatrick
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eigene.«
    Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Dann fing sie an zu arbeiten, wobei sie mehrere Ordner auf ihrem Schreibtisch durchblätterte. »Lass mich sehen, ich weiß, du bist hier irgendwo … ah. Hier.« Sie zog ein Blatt Papier aus einem der Ordner und gab es mir. »Sieht alles okay aus?«
    Ich überflog meinen Stundenplan. Geschichte der USA, Leistungskurs Englisch, Gesundheitswesen, Journalismus, Anatomie und Physiologie, Orchester und Trigonometrie. Ich musste ganz klar unter Todessehnsucht gelitten haben, als ich mich letztes Jahr in meine Kurse eingeschrieben hatte.
    »Sieht gut aus«, sagte ich, warf mir meinen Rucksack über die Schulter und schob mich durch die Bürotür.
    Der Flur draußen war dämmrig, die fluoreszierenden Deckenlampen warfen einen düsteren Schein auf die gewachsten Böden. In meinem Kopf sagte ich mir, dass dies meine Schule war. Ich gehörte hierher. Und obwohl es mich jedes Mal erschütterte, wenn ich daran dachte, dass ich jetzt in der Oberstufe war – der Tatsache zum Trotz, dass ich mich nicht erinnern konnte, die zehnte Klasse beendet zu haben –, würde das Fremde sich am Ende legen. Musste es.
    Es klingelte. Im selben Moment öffneten sich überall Türen, und der Flur wurde von der Schülerschaft überflutet. Ich schloss mich dem Strom von Schülern an, die sich ihren Weg zu den Toiletten, den Schließfächern und den Getränkeautomaten bahnten. Ich hielt mein Kinn leicht nach oben und meinen Blick geradeaus gerichtet, aber ich spürte die Blicke meiner Mitschüler. Jeder warf mir einen überraschten zweiten Blick zu. Sie mussten schon wissen, dass ich zurück war – meine Geschichte war der Höhepunkt der Lokalnachrichten. Aber ich vermutete, mich in Fleisch und Blut zu sehen machte die Tatsachen überhaupt erst greifbar. Ihre Fragen tanzten an vorderster Front in ihren neugierigen Blicken. Wo war sie? Wer hat sie entführt? Was für widerliche, unaussprechliche Dinge sind ihr widerfahren?
    Und die größte Spekulation überhaupt: Stimmt es, dass sie sich an nichts davon erinnern kann? Ich wette, sie tut nur so. Wer vergisst schon einfach so Monate seines Lebens?
    Ich blätterte durch das Heft, das ich an die Brust gepresst hatte, tat, als würde ich nach etwas sehr Wichtigem suchen. Ich bemerke euch gar nicht, besagte die Geste. Dann nahm ich die Schultern zurück und täuschte einen Blick völligen Desinteresses vor. Vielleicht sogar von Unnahbarkeit. Aber heimlich zitterten mir die Knie. Ich hastete den Flur hinunter, mit nur einem Ziel.
    Ich drängte mich in die Mädchentoilette und schloss mich in der letzten Kabine ein. Ließ mich mit dem Rücken an der Wand entlanggleiten, bis ich auf meinem Po saß. Ich konnte spüren, wie mir die Galle hochkam. Meine Arme und Beine fühlten sich taub an. Meine Lippen waren taub. Tränen liefen mir übers Kinn, aber ich konnte meine Hand nicht dazu bringen, sie wegzuwischen.
    Egal wie fest ich meine Augen zudrückte, egal wie dunkel ich es hinter meinen Augen werden ließ, ich konnte ihre schiefen Blicke, ihre voreingenommenen Gesichter sehen. Ich gehörte nicht mehr zu ihnen. Irgendwie, ohne dass ich irgendetwas dazu getan hätte, war ich zur Außenseiterin geworden.
    Ich saß noch ein paar Minuten länger in der Kabine, bis sich meine Atmung beruhigt hatte und der Drang zu weinen abgeklungen war. Ich wollte nicht zum Unterricht gehen, und ich wollte auch nicht nach Hause. Was ich wirklich wollte, war unmöglich. Ich wollte die Zeit zurückdrehen und eine zweite Chance bekommen. Zurück, angefangen mit der Nacht, in der ich verschwunden war.
    Ich war gerade auf die Füße gekommen, als ich hörte, wie eine Stimme mir wie ein kalter Lufthauch etwas ins Ohr flüsterte.
    Hilf mir.
    Die Stimme war so leise, ich konnte sie fast nicht hören. Ich zog sogar die Möglichkeit in Betracht, dass ich sie mir nur einbildete. Schließlich schienen meine Fantastereien das Einzige zu sein, worin ich in letzter Zeit gut war.
    Hilf mir, Nora.
    Als ich meinen Namen hörte, bekam ich eine Gänsehaut auf meinen Armen. Ich verhielt mich still und versuchte, die Stimme noch einmal zu hören. Der Ton war nicht aus der Kabine gekommen – ich war allein dort –, aber es schien auch nicht, als wäre er aus dem größeren Raum mit den Waschbecken gekommen.
    Wenn er mit mir fertig ist, wird es sein, als wäre ich tot. Ich werde nie mehr nach Hause kommen .
    Dieses Mal klang die Stimme viel stärker und drängender. Ich sah auf. Sie schien aus

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