retten die Pferde
selbst, dass sie es konnte. Keiner hatte es verlangt. Aber auf einmal fand sie es befreiend, zu erzählen, wie schön Catalina gewesen war, wie klug, wie lieb.
In der letzten Stunde hatten sie Musik. Frau Christensen kam im Marschschritt ins Klassenzimmer.
„Wenn die heute Nacht gut geschlafen hat, fresse ich ...“, murmelte Hanni.
Nanni grinste. „Was denn?“
„Dich, mein Schwestermauseschwänzchen.“
Sie kicherten gemeinsam.
„Ruhe dahinten“, rief Frau Christensen. „Ich konnte heu- te Nacht nicht schlafen, dieser schreckliche Wind, und da fiel mir ein, ihr solltet mir mal wieder vorsingen. Schließlich gibt es irgendwann Zeugnisse. Warum also nicht sofort?“
„Ich würde gerne sagen, hol sie auch der Abdecker, aber ich weiß, er tut’s nicht“, fauchte Bobby.
„Wie bitte?“, fragte Frau Christensen.
„Nichts, Entschuldigung.“
„Jenny Altmann, du fängst an“, bestimmte die Lehrerin. „Sah ein Knab’ ein Röslein steh’n.“
„Begrabt meine Leiche unter der Kastanie und pflanzt ein Röslein drauf“, flüsterte Jenny, bevor sie sich zum Klavier begab, im Tempo einer zum Tode verurteilten Schnecke.
Dann sang sie. Es klang, als hätte der Knab’ das Röslein nicht nur abgebrochen, sondern kaltblütig ermordet.
„O Jenny!“, stöhnte Frau Christensen.
Hanni meldete sich: „Lassen Sie doch bitte Jenny etwas anderes singen“, schlug sie vor. „Das Heideröslein muss bei ihr in die Ho. ich meine schiefgehen. Sie ist nun mal nicht der klassische Typ.“
„Nein, da hast du Recht“, meinte Frau Christensen freundlich. „Was möchtest du singen, Jenny?“
Jenny wollte am liebsten gar nichts mehr singen.
„Wie wär’s mit My Bonny?“, rief Carlotta.
Jenny nickte. Das war schon besser.
Nicht so hauchzart wie das geknickte Röslein.
„My was?“, fragte die Lehrerin verwirrt.
„My Bonny lies over the Ocean, ein englisches Volkslied“, erläuterte Hanni.
„Ach ja, natürlich.“
Frau Christensen intonierte die Melodie auf dem Klavier. Jenny setzte tatsächlich beinahe richtig ein und schmetterte los. Laut singen konnte sie. Frau Christensen verzichtete auf jeden Kommentar. Nur als die Mädchen in den Refrain einstimmten und losbrüllten: „Bring back, bring back, oh bring back my Bonny to me, to me ...“, hob sie die Hand, und der Chor verebbte gehorsam.
Nanni verschluckte den letzten Ton. Sie schaute Jenny an und sah sie nicht. Denn sie hatte - wieder einmal - eine Idee. Ohne einen Laut von sich zu geben sang sie innerlich weiter:
Wir brauchen ein Fröschl in Rottstadt,
Wir brauchen ein Fröschl so sehr.
Und wer von euch uns 're Stadt lieb hat, der weiß, dieses Fröschl muss her!
Bringt doch, bringt doch, o bringt doch das Fröschl
hierher,
hierher ...
Sie boxte Petra mit dem Ellbogen in die Seite. Leider hatte sie spitze Ellbogen. Petra quietschte wie eine Maus, der man auf den Schwanz getreten hat.
„Ich hab’s!“, flüsterte Nanni. „Ich weiß, was wir singen werden.“
„Was du singen wirst, interessiert mich nicht“, maulte Petra. „Sullivan ist so weit hinten im Alphabet, du kommst heute nicht mehr dran. Aber ich.“ Sie hieß Dorberg.
„Doch nicht heute“, erklärte Nanni. „Am Samstag.“
„Aber da haben wir keine Musikstunde.“
„Blöde Gans“, murrte Nanni.
Es kam nicht zu einem weiteren Austausch von Liebenswürdigkeiten, denn der Gong kündigte das Ende der Stunde an. Jenny strahlte, als Frau Christensen ihr eine Vier für die Bonny zubilligte.
„Am besten übst du das Heideröslein und singst es mir nächste Woche noch mal vor. Vielleicht schaffst du eine Drei.“
„Bitte, bitte nicht“, jammerte Jenny. „Ersparen Sie mir das. Sonst kriege ich einen Heiderosen-Komplex. Ich bin mit der Vier restlos glücklich.“
Frau Christensen nickte und freute sich auf die nächste Klasse. In der Sechsten gab es drei Mädchen, die singen konnten.
Achtung, die Frösche kommen!
Nannis neuer Bonny-Text fand Anklang. Zu üben brauchten sie ihn nicht, wer ihn einmal durchgelesen hatte, behielt ihn im Kopf.
„Schön, dass du den Unterricht zum Denken benützt“, feixte Hanni. „Du hast momentan eine richtig kreative Pha- «
se.“
Nur Petra fand, der Text wäre nicht gerade besonders
Nanni war deswegen nicht beleidigt. „Soll er gar nicht sein. Erstens sind unsere Politiker auch nicht immer geistreich, wenn sie Wahlkampf machen. Und zweitens muss auch der Blödeste die Worte kapieren. Das Tollste wäre, wenn die Leute
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