Rettet den Euro!: Warum wir Deutschland und Europa neu erfinden müssen (German Edition)
zunimmt, wird China in wenigen Jahren die Nummer eins unter den deutschen Handelspartnern sein. Ex- und Importe mit den Partnern in Europa und im Euro-Raum treten in den Hintergrund. Für Volkswagen oder BMW ist der chinesische Markt schon heute der wichtigste Markt in der Welt, wichtiger noch als der deutsche. Europa spielt in diesen Unternehmen eine Rolle, aber keineswegs die ausschlaggebende.
Doch nicht nur China boomt, auch die vielen anderen Schwellenländer wachsen. Schauen Sie nach Indien mit ebenfalls über einer Milliarde Menschen und einem entsprechend hohen ungedeckten Bedarf. Oder nach Indonesien oder Malaysia oder Vietnam oder – um auf einen anderen Kontinent zu gehen – nach Brasilien oder Argentinien. Selbst in den Staaten Zentral- und Osteuropas, die noch nicht zum Euro gehören, sind die Wachstumsraten wesentlich höher als im Euro-Raum. Sie stehen daher mehr im Fokus der Exportwirtschaft.
Die Kosten und Unannehmlichkeiten von Wechselkursschwankungen fallen gegenüber diesem Megatrend nicht so stark ins Gewicht. Natürlich belastet es, wenn die Devisenkurse nach oben oder unten gehen, aber letztlich zählt, was unter dem Strich herauskommt. Niemand wird nur dort Handel betreiben, wo es stabile Wechselkurse gibt. Wenn die Margen und der Bedarf woanders höher sind, dann nimmt man auch die Kosten der Wechselkursschwankungen in Kauf. Anders könnte man den Außenhandel einer Volkswirtschaft auch überhaupt nicht erklären. Dann gäbe es nur noch Binnenhandel. Innerhalb einer Volkswirtschaft kamen auch bisher schon keine Wechselkursschwankungen vor. Wenn die Unternehmen dennoch Geschäfte mit dem Ausland betrieben, dann deshalb, weil sie dort mehr Geld verdienen konnten.
Bei allem Verständnis für den eingangs zitierten Unternehmer darf man die Wechselkursfrage für die Volkswirtschaft insgesamt also nicht überbewerten. Dass der Euro die Devisenrisiken in der Gemeinschaft ausgeschaltet hat, war hilfreich, denn wahrscheinlich hätte der Binnenhandel in Euro-Land sonst noch mehr an Bedeutung verloren. Es ist aber nicht kriegsentscheidend. Wenn es den Euro nicht gäbe, würde in Europa trotzdem Handel betrieben. Manch ein Unternehmer würde zwar klagen. Der Verbraucher würde aber kaum etwas davon merken. Die positiven Effekte des Euro sind also nicht so groß, wie oft behauptet wird. Nicht der Euro hat den Außenhandel in den letzten Jahren bestimmt, andere Faktoren waren offenbar stärker. Wenn die Kosten des Euro durch Währungskrisen und Rettungsaktionen für schwache Länder immer weiter steigen und man sich irgendwann fragen muss, ob sich das alles lohnt, ist die Antwort in einer Hinsicht eindeutig: wegen des Außenhandels sicher nicht.
4. Die Sache mit dem Gewinner aus dem Euro
Noch ein Widerspruch: Seit ich als Ökonom im Bankgeschäft tätig bin, höre ich immer wieder die gleiche Behauptung: Deutschland ist der Gewinner der europäischen Integration und natürlich auch der Währungsunion. Weil es über den Außenhandel mehr von der Gemeinschaft profitiert, muss und kann es zwangsläufig auch mehr bezahlen, wenn die Kasse leer ist. (Heißt im Umkehrschluss: Ohne Euro ginge es Deutschland schlechter?) Auch die Begründung für diese Behauptung hat sich nicht verändert. Deutschland hat die meiste Industrie und den größten Außenhandel. Folglich profitiert es am meisten von der internationalen Arbeitsteilung und von der Gründung des europäischen Binnenmarkts. Die These wird zwar selten begründet, ist bei den Politikern und der Bevölkerung aber tief verwurzelt.
Aber wie sehen die Fakten aus? Schauen wir uns die Entwicklung Deutschlands seit der Einführung des Euro etwas genauer an. Gesamtwirtschaftlich gesehen war das erste Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, also auch das erste mit dem Euro, das schlechteste in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt (siehe Übersicht auf S. 43). Das reale Bruttoinlandsprodukt wuchs im Schnitt lediglich um 0,8 Prozent im Jahr. Das ist rund ein Drittel des im Jahrzehnt davor erreichten. Die Arbeitslosigkeit war mit 4 Millionen so hoch wie nie zuvor in der Geschichte der Nachkriegszeit. Die Löhne stiegen im Schnitt um nur 1,3 Prozent, was gerade mal der Preissteigerung entsprach. Das heißt, die Reallöhne haben sich nicht erhöht. Berücksichtigt man die Steuern und Sozialabgaben, dann hatten die Menschen in den ersten zehn Jahren des Euro weniger in der Tasche als vorher.
Von positiven Effekten aus dem Euro kann also nicht die Rede
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