Rettet den Euro!: Warum wir Deutschland und Europa neu erfinden müssen (German Edition)
Rom unterzeichnet.
Der Ost-West-Konflikt, der die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt hatte, sollte endgültig begraben werden. Europa sollte sich wieder auf seine gemeinsamen historischen, kulturellen und geografischen Wurzeln berufen. Im Jahr 2004 wurden zehn neue Mitglieder vornehmlich aus Zentral- und Osteuropa in die Europäische Union aufgenommen, 2007 kamen noch einmal zwei, Rumänien und Bulgarien, hinzu. Damit sollte Europa eine neue Qualität und Identität im internationalen Konzert bekommen. Es war nicht mehr der kleine Bruder Amerikas auf dem Kontinent. Es war eine eigenständige Macht geworden.
Europa hat mit diesen Zielen zu einem großen Sprung angesetzt. Es war auf dem Weg zur »Macht von morgen«. Wir standen vor einem europäischen Jahrzehnt, einem »europäischen Traum« (Rifkin). Das hätte auch den Euro mit nach oben gezogen.
Und jetzt? Europa hat Anlauf genommen und den Sprung verweigert. Es kam nicht nur nicht voran, es ging – jedenfalls in einigen Bereichen – sogar wieder einen Schritt zurück. Das nationalstaatliche Denken kehrte zurück.
Die Geschichte ist ganz anders gelaufen als zu Beginn der europäischen Integration nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals war man bei der Formulierung der Ziele eher zurückhaltend. Die erzielten Ergebnisse aber waren jeweils besser als erwartet. Vielleicht wären ein bisschen mehr Zurückhaltung und ein bisschen mehr Bescheidenheit bei der Formulierung der Ziele heute gar nicht so schlecht.
Europa auf der Suche nach Macht
Aber nicht nur die Ziele wurden verfehlt. Europa verlor auch an Selbstbewusstsein und internationaler Bedeutung. Die großen Fragen der Weltwirtschaft wurden nicht mehr von den Europäern mitgestaltet. Im Herbst 2009 gab es einen Klima-Gipfel in Kopenhagen, auf dem Europa die Welt zu mehr umweltbewusstem Handeln drängen wollte. Die Ergebnisse der Konferenz letztlich bestimmt haben aber die Chinesen und die Amerikaner. Herausgekommen ist nichts oder fast nichts.
Europa betont immer wieder, dass das neue Entscheidungszentrum der Weltwirtschaft die Gruppe der 20 ist, in der die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer sitzen. In diesem Gremium ist Europa mit fünf Sitzen vertreten. Zu sagen hat diese Gruppe aber nichts beziehungsweise nicht viel, die Entscheidungen liegen bei »Chimerica«, also China und Amerika. Die anderen dürfen abnicken. Mit dem weiteren Anstieg der Bedeutung der Schwellenländer in der Welt rückt Europa immer mehr in den Hintergrund.
Die Schwäche des alten Kontinents ist seine politische Uneinigkeit. Sie führt dazu, dass er nicht weiterkommt und dass er auch nicht entschlossen auf Krisen von außen reagieren kann. Europa ist nicht stark genug, um genügend Abwehrkräfte zu mobilisieren.
Nach dem neuen Lissabon-Vertrag gibt es nicht einen Präsidenten, der für Europa spricht und die Union repräsentiert, es gibt drei Präsidenten: den Präsidenten des Europäischen Rats, der eine Amtszeit von zwei Jahren hat, den Europäischen Ratspräsidenten, der turnusmäßig alle sechs Monate wechselt, und den Kommissionspräsidenten. Alle drei wollen die Nummer eins sein und streiten sich um den Platz.
Dabei haben alle drei in der Praxis wenig zu sagen. Das Machtzentrum Europas liegt – auch das ist eine Entwicklung, die sich in den letzten Jahren herauskristallisiert hat – in Frankreich und in Deutschland. Wenn die beiden Länder sich einig sind, können sie versuchen, die anderen Mitglieder auf ihre Seite zu ziehen und etwas durchzusetzen. Wenn sie nicht wollen oder sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner einigen können, dann geschieht auch nichts in Europa. Das ist nicht im Entfernten das, was die Väter der Europäischen Union im Sinn hatten. Sie wollten eine Gemeinschaft von großen und kleinen Ländern, die alle selbstständig und gemeinsam entscheiden und in der jeder das gleiche Stimmengewicht hat.
Nichteuropäer suchen nach wie vor nach der »europäischen Telefonnummer«, deren Fehlen einst schon der amerikanische Außenminister Henry Kissinger spöttisch beklagte. Ausländische Staats- und Regierungschefs akzeptieren weder die Deutschen noch die Franzosen als Sprecher der Europäer. Sie wollen aber auch nicht mit den offiziellen Repräsentanten sprechen, weil sie wissen, dass die nichts zu sagen haben. Ohne politisch akzeptierte und handlungsfähige Repräsentanten aber gerät Europa international immer mehr ins Hintertreffen.
Dabei ist die Erosion der politischen Macht
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