Rettungskreuzer Ikarus Band 007 - Netzvirus
Schwächen.
Eine tiefe Falte bildete sich zwischen Sentenzas Augenbrauen, als er gedankenvoll
auf eine gewölbte Tasche seiner Uniform tippte. Wenn alles glatt ging,
würde niemand bemerken, dass er sich etwas ausgeliehen hatte. Und wenn
nicht, dann wäre es nicht mehr so wichtig, dass er zu fragen ›vergessen‹
hatte. Für einen solchen Notfall war es auch gut, dass er allein auf der
Brücke war.
Sentenza lächelte schwach, als ihm bewusst wurde, dass er auf dem besten
Weg war, ein Geheimniskrämer zu werden, der seine wichtigsten Schachzüge
im Stillen machte.
›Eventuell sollte ich eine Versetzung beantragen‹, dachte er und beobachtete
dabei den Ortungsmonitor. ›Ich habe das Gefühl, ich verbringe zu viel
Zeit mit McLennane. Du färbst ab, Old Sally.‹
Dann lehnte er sich zurück, schlug die Beine übereinander, verfolgte
die Bewegungen der Shuttles rund um die Station – und wartete.
Darius Weenderveen war enttäuscht. Er hatte viele Geschichten darüber
gehört, wie Cyberingenieure und Computertüftler der ›gehobenen
Klasse‹ die Darstellungen in einem Netzwerk phantasievoll ausschmückten,
mit sprechenden Symbolen und Farben, naturgetreuen Texturen oder sogar ganzen
Bildwelten, die an Realismus der Wirklichkeit nicht viel nachstanden. Jetzt
musste er erkennen, dass all diese Erzählungen viel strahlender waren als
die Tatsachen.
Das Innere der Code Red Datenbank war nüchtern, ja monoton zu nennen. Als
Symbol für die Speicher waren Karteischränke gewählt worden,
wie sie heute kaum mehr zu finden waren – nur in der Iconographie der Computeranwender
erlebten die Bilder aus den Zeiten, als Informationen auf Papier gespeichert
und dann in Registern abgeheftet wurden, immer wieder eine Renaissance. Trotz
dieser nostalgischen Anwandlung hatte der Erschaffer der Datenbank einen Hang
zur Eintönigkeit bewiesen – die ›Schränke‹ bildeten
mehrere lange Reihen und waren sehr hoch, so dass man den Eindruck bekommen
konnte, zwischen zwei mehrgeschossigen Häusern zu stehen. Schubladen türmten
sich über Schubladen, eine jede mit einem kleinen Display, das den Inhalt
des Speichers genauer definierte, und all das war in einem einzigen Rotton gehalten,
der sehr rasch ermüdend wirkte. Weenderveen begnügte sich damit, sich
langsam zwischen diesen Schrankwänden hindurch zu bewegen, während
er das Icon von Trooid beobachtete, das mir irrwitziger Geschwindigkeit mal
in die Höhe schoss, dann voraus verschwand oder plötzlich wieder hinter
seinem Begleiter auftauchte. Der Android überprüfte die Datenspeicher
nach einem bestimmen Muster, das einem menschlichen Betrachter chaotisch erschien,
dem aber eine tiefere Logik inne wohnte. Es dauerte nicht lange, bis die blaue
Trooid-Kugel neben Weenderveen zum Halten kam.
»Die Daten hier sind alle in Ordnung, aber weiter vorne habe ich den zerstörten
Bereich entdeckt.«
»Dann sollten wir uns den mal ansehen,« bestätigte Weenderveen,
und er hatte kaum das letzte Wort gesprochen, als Trooid sich schon wieder an
ihn angeheftet hatte und ihn mit sich durch das Karteischrank-Gewirr riss. Der
Robotiker ächzte im Stillen und unterdrückte einen Schrei – ihre
Kommunikation wurde von den Ingenieuren außerhalb des Netzes mitgeloggt,
und er wollte nicht als Trottel dastehen.
Als sie hielten, erkannte Weenderveen sofort, dass hier nichts mehr funktionierte.
Die Schranksymbole waren nicht nur zerstört, sie waren förmlich in
kleine Stückchen zermahlen worden. Wo vorher haushohe Datenspeicher gewesen
waren, häufte sich nun nur noch grober Rubinstaub unregelmäßig
auf einer freien Fläche, die von einem unheimlichen, roten Himmel überspannt
wurde. Der ältere Mann fragte sich, wie man in so einer Umgebung arbeiten
konnte, ohne auf Dauer den Verstand zu verlieren – selbst der leere Weltraum
wirkte natürlicher und einladender als diese virtuelle Landschaft.
»Die Speicher hier sind hin,« stellte er sachlich fest. »Sieht
nicht so aus, als ob sich irgendetwas davon noch reparieren ließe.«
»Ich stimme Ihnen zu, auch wenn wir beide keine Experten sind. An Stelle
der Ingenieure würde ich diese Gegend mit einem Backup überschreiben.«
Trooids Symbol stieg ein bisschen höher, als wollte er einen besseren Überblick
gewinnen. »Von ›Melodie‹ und ›Ohboy‹ gibt es hier kein
Zeichen. Allerdings ist da vorn etwas, das nicht in das Bild dieser
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