Rettungskreuzer Ikarus Band 017 - Das Anande-Komplott
und war bei den Fakten geblieben, was
schön und gut sein mochte, aber nicht genug. Die nächste »Stille
Stunde« würde er nun lieber dafür nutzen, sich zu überlegen,
wie er diesen Ungehorsam bestrafen konnte – eine Vorstellung, die seine
Stimmung hob und seine Handflächen unter dem Schutzfilm feucht werden ließ.
»Warten wir ab, wie es morgen weitergeht, letztlich liegt alles in von
Bussevs Hand«, bemerkte er jovial und war froh, mit diesem Satz die Hauptverantwortung
auf die Schultern des Anwaltes zu legen. Der Prinz nickte mit düsterem
Blick.
»Ja. Sehen wir weiter.« Joran stand auf, eine mächtige und erschreckende
Gestalt in kostbarer Kleidung. Er sah auf den Wissenschaftler hinunter. »Ich
will in dieser Aktion Köpfe rollen sehen, Botero. Und das werde ich. So
oder so.« Dann verließ er den Raum.
Auf seinem Weg nach Hause beschloss Botero, dass er die Nacht damit verbringen
würde, noch ein paar Vorsichtsmaßnahmen bezüglich seines Auftraggebers
zu entwickeln. Das würde seine eigene Nervosität, wenn er an die Geschehnisse
der kommenden Tage dachte, vielleicht etwas lindern.
4.
Die Luft war kühl, rein und frisch nach den heftigen Regenfällen des
Abends. Nun trieb der starke Wind die letzten Wolkenfetzen auseinander und gab
so den Blick auf den sternenreichen Himmel über Regulus frei – es
war kein Mond zu sehen, aber Anande wusste nicht einmal, ob der Regierungsplanet
des Raumcorps überhaupt einen solchen Trabanten hatte. Vor den Sternen
zogen größere Lichtpunkte dahin – Gleiter auf ihrem Flug über
die Stadt und weiter oben Raumstationen im Orbit. Unten wurden sie von den Scheinwerfern
der Bodenfahrzeuge verfolgt.
Jovian Anande stand zwischen dem belebten Himmel und der bevölkerten Erde,
hoch oben auf dem Balkon seines Hotelzimmers und fühlte sich von all dem
pulsierenden Leben sehr fern. Er hörte die Stimmen der zwei Sicherheitsleute,
die trotz des Protestes von Sally McLennane und Captain Sentenza vor seine Tür
gestellt worden waren – der Vertreter der Anklage, von Bussev, hatte das
durchgesetzt, weil er Fluchtgefahr vermutete.
Es war Anande gleichgültig.
Dem, wovor er wirklich fliehen wollte, konnte er ohnehin nicht entkommen. Die
Bilder, die er heute bei der Verhandlung von seinem damaligen Projekt gesehen
hatte, waren noch immer präsent und füllten sein ganzes Denken aus.
Der monströs vergrößerte Embryokörper in seinem Nest aus
Schläuchen und Sensoren war wie ein Doppelbild, das sich über alles
legte, unausweichlich und unerbittlich. Anande musste sich nur konzentrieren
und konnte sich jedes Detail vor Augen rufen und alles daran machte Sinn. Es
sah richtig aus, effektiv. Es sah aus, als hätte es funktioniert und offenbarte
die wissenschaftliche Meisterleistung eines genialen Forschers. Eines schrecklichen,
wahnsinnigen Forschers, dessen Genie im Dienste falscher Götter stand:
Profit, Ruhm, Erfolg, Gier, Ignoranz ... die Liste war ebenso endlos wie furchtbar.
Und am schlimmsten erschien es Jovian Anande, dass er sich auch jetzt an nichts
erinnern konnte. Die Beweise, die ... Zeugen sagten ihm, dass er der Schöpfer
dieser Abnormität gewesen sein musste, aber so sehr er sich auch bemühte,
er fand kein Erkennen in sich, nicht einmal das blasse Gefühl, das einen
manchmal beim Sehen eines flüchtig vertrauten Gesichtes streift. Er konnte
sich nicht vorstellen, dass er so etwas getan hatte.
Er konnte sich dafür nicht schuldig fühlen.
Aber er müsste doch? Wie konnte er so etwas getan haben und es nicht mehr
wissen! Selbst mit aller Kunst der Chirurgie war es doch wohl nicht möglich,
ihm das völlig zu nehmen. Weder das Wissen um sein Verbrechen – noch
die Grundlagen dafür. Was war er damals für ein Mensch gewesen, dass
er dieses Vergehen als einen Triumph angesehen hatte? Wo hatte er die Kälte
hergenommen, die Skrupellosigkeit, diesen unbedingten Willen zum Erfolg, ganz
gleich, welchen Weg er dafür gehen musste? Und konnte das alles durch den
Schnitt eines Skalpells verschwinden?
Jovian Anande schloss die Augen, und seine schlanken Finger suchten die Balkonbrüstung.
Der Wind zerrte an seinen Haaren und an seiner Kleidung, während der Arzt
in sich hinein lauschte und nach dem suchte, was er einmal gewesen war. Er hatte
Angst, alles was er jetzt zu sein glaubte, wäre nur eine Maske. Und wenn
er – oder irgendjemand in dem Prozess –
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