Rettungskreuzer Ikarus Band 030 - Held wider Willen
das Grauen aus der Tiefe. Die Kreatur riss ihre
gewaltigen Pranken nach oben und drohte dem Himmel, öffnete ein Maul, das
größer war als das ganze Schiff und stieß einen Schrei aus,
der für Sekunden gnädige Betäubung über die Schluttnicks
brachte. In ihm ging auch das tonlose Geflüster des Schiffdirektors unter.
»Der Große Verschlinger«, murmelte er. »Meine Mama hatte
Recht.«
Dann, wie auf ein Stichwort, senkte sich der Blick des Ungetüms und es
sah direkt auf den Fischtrawler, der weit unter seiner geschuppten Brust wie
ein Spielzeug hin und her sprang. Und ein Gefühl, mächtiger noch als
die imposante Gestalt des Verschlingers, machte sich in dem Leib der riesenhaften
Echse breit: Hunger. Das Monster hatte eine Ewigkeit lang geschlafen. Es war
Zeit für Frühstück.
Eine der Pranken senkte sich auf das Schiff, die Klauenfinger schlossen sich
um das Deck und gruben sich einen halben Meter tief in den gehärteten Stahl
der Außenhülle. Der Verschlinger schüttelte das kleine Ding
ein wenig, um das wuselige Zeug loszuwerden, das über die Oberfläche
des Trawlers rannte. Dann nahm er seine zweite Hand zu Hilfe, hob das Schiff
hoch über seinen aufgesperrten Rachen und brach es mühelos auseinander.
Eine im allerletzten roten Licht glitzernde Flut von Fischen fiel aus den Frachträumen
direkt in den tiefen, stinkenden Schlund des Monsters. Der Schiffsjunge hatte
Recht gehabt: einer der Loppolos war wirklich so groß wie das Beiboot
des Trawlers. Der riesige Fisch glitt an den mannshohen Zähnen vorbei und
verschwand in der Finsternis, ohne dass der Verschlinger auch nur einmal hätte
kauen oder schlucken müssen.
Ein kurzer Moment der Stille trat ein.
Dann ließ die Echse das zerbrochene Schiff achtlos fallen und schnupperte
kurz, ehe sie sich tiefer ins Wasser sinken ließ und in Richtung des fernen
Ufers schwamm. Die ganze Fracht an Fischen hatte eben erst seinen Magen erreicht,
aber es gab nur einen Gedanken, der den Verschlinger mit raschen Arm- und Schwanzschlägen
vorwärts trieb:
Mittagessen.
Kentnok erwachte am nächsten Morgen mühsam. Matt wuchtete er sich
aus seinem Schlafnest und sein erster Laut war ein Seufzen. Die Karamelkekse
hatten während seines Schlafes erfolgreich den ersten Magen passiert und
sich dann in seinem zweiten zu einem Stein verdichtet. Sie lagen dort so schwer
und unangenehm, dass Kentnok kurz erwog, gar nicht aufzustehen und zur Arbeit
zu gehen. Aber gerade heute sollte er vermutlich früh dort sein, um zu
sehen, ob Aufregung wegen eines Diebstahls herrschte – oder ob alles seinem
trägen, gewohnten Gang folgte.
Während Kentnok in seine Trockenzelle ging, um sich mit erwärmtem
Waschsand abbrausen zu lassen, wünschte er sich, er hätte seinen Kurs
in Nahrungsmittelüberaufnahme als Kind zu Ende bringen dürfen. Dann
hätte er jetzt keine Magenbeschwerden. Entgegen der in der Galaxis verbreiteten
Annahme waren die Schluttnicks nicht von Natur aus in der Lage, riesenhafte
Essensmengen in sich aufzunehmen. Sicher, eine runde Grundstruktur und zwei
kooperierende Mägen waren ihnen von gnädigen Göttern mit auf
den Weg gegeben worden, aber zur vollen Größe und Pracht entwickelte
sich ein Schluttnick nur dann, wenn er selber dafür sorgte. Wohlhabende
Familien brachten ihre Kinder früh in speziellen Schulen unter, in denen
nichtige Instinkte wie »ich bin satt« und »wenn ich noch einen
Happen esse, dann muss ich brechen!« schrittweise abtrainiert wurden. Auch
Kentnok hatte an so einer Schulung Teil genommen, allerdings nur bis zu dem
Tag, an dem seine Indoktrinationsassistentin den vernichtenden Befund abgeliefert
hatte. Danach war die Chance, dass er sich je dick und rund essen müsste,
ohnehin vertan, und das Training hatte keinen Sinn mehr gehabt.
Kentnok zog sich rasch an und nahm nur ein symbolisches Frühstück
aus drei kleinen Kuchen und einem Becher heißer Schokolade ein. Der Anblick
der Kugel neben seinem Nest, die still und reglos auf ihrer Halterung lag, genügte,
um ihm den Appetit zu verderben. Dann verließ er eilig das Haus. Auf dem
Weg zur Stadtbahn besorgte er sich die neusten Nachrichten für sein Lesegerät
und starrte, während er auf die Bahn wartete, auf den kleinen Monitor,
Seite an Seite mit anderen Schluttnicks auf dem Weg zu ihrer Arbeit. Natürlich
besaß Kentnok einen eigenen Gleiter, aber hauptsächlich deswegen,
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