Rettungskreuzer Ikarus Band 030 - Held wider Willen
entrüstet. Ja, die unheimlich dünnen
Mitglieder der Schluttnickarmee entsprachen nicht dem verbreiteten Ideal von
Schönheit und Erfolg. Aber sie hatten so heldenhaft in der Schlacht
um Vortex Outpost gekämpft und so schwere Verluste erlitten. Kein
Schluttnick konnte ihnen danach mehr mit etwas anderem als Verehrung entgegen
treten. Nun ja, fast keiner.
»Äääh!« Die junge Frau unterstrich ihre Abneigung mit
einem gänzlich undamenhaften Laut. Fast erwartete Kentnok, dass sie jetzt
noch auf den Boden spucken würde. Stattdessen schaltete sie übergangslos
das breite Lächeln wieder ein und griff nach seinem Lesegerät. Dabei
kam sie ihm so nahe, dass ihr Sahnekaramel-mit-Frucht-Parfüm ihn wie eine
klebrige Wolke einhüllte. Was ein feiner, appetitlicher Hauch sein sollte,
war bei dieser Frau, die nun eifrig auf das Lesegerät tippte, ein ganzer
Konditorladen. Kentnok, dessen Mägen ihm noch immer Gram waren, spürte
eine deutliche Beklommenheit und atmete unauffällig durch den Mund.
»Aber der Held ist doch auf dem Foto! Sie müssen nur mal richtig hinschauen.«
Flugs stellte sie die Vergrößerung auf Maximum und nun sah Kentnok,
das etwas an der Seite des Verschlingers in der Luft schwebte, verschwommen
und undeutlich, aber ziemlich sicher ein Schluttnick. Er flog, anscheinend ohne
jedes Hilfsmittel, dicht neben dem Kopf des Monstrums und hatte eine Faust zurückgezogen
wie zum Schlag. Kurioserweise trug der Schluttnick einen ziemlich eng anliegenden,
dunkelgrünen Anzug, unter dem sich die fast idealen Kugelmaße seines
Körpers deutlich abzeichneten.
»Ist er nicht wunderbar?«, hauchte die Frau jetzt mit einiger Verzückung.
»Er hat den Verschlinger niedergeschlagen, mit ihm gerungen, ihm die Arme
mit einem Stahlträger zusammen gebunden und ihn dann am Schwanz gepackt
und zurück ins Meer geschleudert. Ganz alleine! Ich wünschte, ich
wäre hier gewesen und hätte ihn selbst gesehen! Oder auf dem Fischtrawler
vorher.« Mit flinken Fingern blätterte sie weiter bis zu dem Bild
eines älteren, sehr zerrauft und wettergegerbt aussehenden Schluttnicks.
» Ab heute glaube ich alles, was sie sagt !«, stand in großen
Buchstaben über dem Bild.
»Das ist der Schiffsdirektor eines Fischtrawlers, der als erstes von dem
Verschlinger angegriffen wurde«, fasste die Frau den Text für Kentnok
zusammen. Sie schien ihn ohnehin auswendig zu kennen. »Die Besatzung trieb
im Meer, die meisten waren tot.« Ein wohliger Schauer des Entsetzens ging
über ihre zarte Haut. »Der Schiffsdirektor und ein anderer Seemann
klammerten sich an irgendetwas fest und dann kam er und hat sie mühelos
aufgehoben und im Flug zurück in die Stadt gebracht. Sie sind ihm ganz
nahe gewesen, verstehen Sie? Der Schiffsdirektor wurde von ihm getragen, die
ganze weite Strecke! In seinen Armen! Ach, wäre ich doch nur auch auf diesem
Fischtrawler gewesen!«
Kentnok beschloss, dass er genug gehört hatte von den selbstmörderischen
Wünschen dieser jungen Frau, nahm sein Lesegerät und verabschiedete
sich, was sie aber ignorierte, da sie bereits wieder Fotos machte. Als hätte
er eine Rauschpastete gegessen, schwankte Kentnok von der Stadtbahn weg. Ein
Süßwarenverkäufer bot ihm etwas an – es war der Verschlinger
als Fruchtlutscher. Kentnok schob ihn zur Seite und war froh, als er sich bei
der Bahn auf eine Bank setzen konnte. Seine Gedanken wirbelten durcheinander.
Es war etwas Großartiges und Entsetzliches passiert. So eine dramatische,
ungesehene, heroische Sache! Monster und Helden, Zerstörung und Rettung.
Und er, Kentnok, hatte das alles verschlafen.
Tief aufgewühlt stützte er seinen Kopf in die Hände. Er würde
zu spät zur Arbeit kommen, aber irgendwie berührte ihn das nicht wirklich.
Was, wenn er hier gewesen wäre, als der Verschlinger kam? Ein paar Stunden
später nur, als Kentnok selber in der Stadtbahn saß, aus der das
Monstrum einen Bissen nehmen wollte. Wenn er im allerletzten Moment selber die
Notbremse gezogen hätte, danach Auge in Auge mit dem Verschlinger, der
wütend war, weil er ihn um seine Mahlzeit gebracht hatte. Das Auge ganz
nahe und Kentnok entreißt dem Alten neben sich seine Gehhilfe und stößt
damit zu ... ein monströser Aufschrei ...
Als ein paar Minuten später der nächste Trupp Schaulustiger an den
Ort der Zerstörung kam, saß Kentnok reglos da, den Blick ins Nirgendwo
gerichtet.
Weitere Kostenlose Bücher