Rettungskreuzer Ikarus Sonderband 001 - Legale Fracht
paralysieren und die Nervenbahnen zu seinen anderen Gliedmaßen betäuben, um die Muskelkrämpfe ertragen zu können. Ein Wartungsroboter brachte ihm ein Lesegerät.«
»Wie bitte?«, machte Anande verwirrt.
Sentenza lächelte breiter. »Er hat die drei Monate fast die ganze Stationsbibliothek durchgelesen. Schade nur, dass er mit dem wichtigsten Werk erst zum Schluss anfing.«
»Und das wäre?«
»Das technische Manual. Darin steht unter anderem, dass sich die Dichtungsmasse unter Zugabe einer bestimmten Salzlösung von selbst verflüchtigt.«
Anande öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. »Und warum hat ihm das der Computer nicht gesagt?«
Sentenza musterte den tief schlafenden Stationswärter mitleidig.
Dann schüttelte er traurig den Kopf und zuckte mit den Schultern.
»Er hat einfach nicht gefragt, Doktor. Er hat einfach nicht gefragt...«
Sylke Brandt:
Die Gefangene
Die Lichter der Stadt breiteten sich dort unten jenseits der zart getönten Panzerglasscheibe aus wie ... ja, wie Lichter einer Stadt. Chrylens hatte sie zu oft betrachtet, um noch irgendwelche romantischen Vergleiche zu finden, sie dachte nicht an Sterne, die bis zum Horizont funkelten und vom verhangenen Nachthimmel gefallen waren, nicht an den Widerschein von Mondlicht auf Wellen. Sie hatte beides in Wirklichkeit gesehen, Sterne und Wellen, und diese müde flackernden Zeichen des menschlichen Ameisenhaufens zu ihren Füßen konnten an die Schönheit von Fox 3 nicht heranreichen. Niemand, der jemals die Wasserwelt gesehen, in ihren faszinierenden Tiefen getaucht und sich in dem endlosen Blau verloren hatte, konnte etwas anderes wundervoll finden. Das Flitterwerk der Stadt war dagegen ein schwacher Schatten, der nur den Augen schmeichelte, aber nie die Seele berührte.
Chrylens lehnte die Stirn schwer gegen die große Panoramascheibe und starrte blicklos hindurch – das entspiegelte Glas warf nicht einmal einen Schemen ihrer Gestalt zurück, so als wäre sie nur ein Geist. Auch das großzügige Appartement hinter ihr blieb verborgen, aber sie kannte ohnehin jeden verdammten Quadratzentimeter des dichten Teppichs, der geschmackvoll dekorierten Wände. Der XXL-Tower war eines der teuersten Gebäude der Stadt, die ganze Wohnung war auch ohne die kostbaren Möbel und die hochtechnische Ausstattung ein Vermögen wert. Prinzessinnen hätten sich glücklich schätzen können, hier zu wohnen – und doch, es war nichts anderes als ein goldener Kerker. Wenn Chrylens die Augen schloss, sah sie vor sich glitzerndes Blau, neben sich die gleitenden Schemen der ‚Füchse‘, wie die Einwohner von Fox 3 genannt wurden. Nicht von ihrem Ehemann, nein. Für ihn waren die ehemaligen Freunde seiner Gattin keinen klangvollen Namen wert – Wassertreter, Fischköpfe, Barbaren nannte er sie. Er lachte, wenn er von ihnen sprach, und es klang so abfällig, dass es Chrylens würgte. Aber sie widersprach ihm nicht mehr, so wie am Anfang ihrer Ehe. Keine Streitigkeiten mehr, die in Schlägen endeten, keine Fluchtversuche aus dem XXL-Tower, die sie nicht einmal bis zur Eingangshalle brachten. Jeder Schritt von ihr wurde überwacht, von Kameras, von drucksensiblen Anlagen unter den Teppichen, von Mikrofonen, ja sogar von diesen olfaktorischen Spürgeräten, die ihren ganz persönlichen Körpergeruch genauestens aufschlüsselten und sie unverwechselbar machten. Es hatte gedauert, bis sie es begriffen hatte: es gab keinen Weg hinaus für sie und für ihre Freunde von Fox 3 keinen Weg hinein.
Aus dem Vorzimmer des Appartements hörte sie plötzlich Gelächter und eine Männerstimme. Joschua, ihr Mann, war von einem Treffen mit einigen Geschäftsfreunden zurückgekehrt – offensichtlich nicht allein, wie sie erleichtert feststellte. Sie hatten ein Konzert hier im XXL-Tower besucht, von irgendeinem unbekannten Pop-Sternchen mit einem weiten Ausschnitt – Chrylens hatte das Plakat in der Halle gesehen. Obwohl niemand die Band »Black Flame« vorher gekannt hatte, war das Konzert wohl recht gut besucht gewesen – das interne Nachrichtenprogramm hatte darüber berichtet und die unglaubliche Lasershow gelobt, die sich die Reporter schon im Vorfeld ansehen durften. Auf Chrylens Stirn erschien eine steile Falte, als sie eine Frauenstimme aus dem Vorzimmer hörte, und fast gegen ihren Willen lauschte sie.
»Deine Frau mag also keine Musik?«
»Sie meint, solche Treffen sind eine Zumutung.« Das charmante Lachen, das den Worten folgte, kam eindeutig von
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