Rettungslos
Klatschgeschichten und schlechte Rezensionen, die sie über seine Bücher gelesen hatte. Stattdessen konzentrierte sie sich auf Themen, die er selbst anschnitt. Anfangs sprachen sie deshalb hauptsächlich über seine Arbeit und die Schreibblockade, die ihn derzeit lähmte und ihm schwer zu schaffen machte.
Fast unmerklich kamen sie auf privatere Dinge zu sprechen, und zwischen ihnen entstand eine groÃe Vertrautheit, sodass es Senta schwerfiel, das Interview zu beenden. Ihm ging es offenbar genauso, denn er lud sie zum Mittagessen in ein gemütliches Restaurant in seinem Dorf ein. Sie hatte die Einladung angenommen, obwohl bei ihr sämtliche Alarmglocken schrillten und sie genau wusste, dass es besser wäre, sich umgehend auf den Nachhauseweg nach Amsterdam zu machen.
Sie hatte es nicht getan. Sie waren in das Lokal gegangen und hatten dort stundenlang geredet, off the record selbstverständlich.
Senta war bewusst, dass sie sich auf gefährlichem Terrain befand. Sie war kurz davor, sich in diesen Mann zu verlieben, womöglich war es bereits geschehen, und jede weitere Minute in seiner Nähe würde dieses Gefühl nähren.
In dem rustikal eingerichteten Restaurant hielt sie ihre Hand die ganze Zeit über so, dass ihm der weiÃgoldene Ehering mit dem kleinen Diamanten nicht entgehen konnte. Sozusagen als letzten Versuch, die Barriere aufrechtzuerhalten. Hätte man sie später gefragt,
worum es bei ihrer Unterhaltung ging und was sie gegessen und getrunken hatten, sie hätte nicht darauf antworten können.
Wie gebannt saà sie ihm gegenüber und sah ihm in die Augen. Das erste verstehende Lächeln, der erste besondere Blick ⦠all das hat sich in ihr Gedächtnis eingegraben. Dabei flirteten sie keineswegs, sondern unterhielten sich so selbstverständlich, dass alles andere überflüssig war.
Irgendwann schwiegen sie eine Weile und lauschten einem Lied, das im Hintergrund lief: »Save Room« von John Legend. Leise sang Alexander die Worte mit: »Say that you stay a little. Donât say bye bye tonight â¦Â«
Er sah direkt auf den Grund ihrer Seele. Ich will dich, sagte sein Blick, ich liebe dich.
Geht das nicht ein bisschen schnell?, fragten ihre Augen.
Mehr Zeit brauche ich nicht.
Verlegen wie ein Teenager schlug sie die Augen nieder, aber erst, nachdem sie damit die Antwort gegeben hatte.
Er schob ihr einen Bierdeckel hin, und sie notierte darauf, ohne zu zögern, ihre Handynummer.
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Jemand sitzt neben ihr, hält ihre Hand, streichelt sie sanft und redet unaufhörlich mit ihr.
Es ist Freek. Seine Stimme klingt beruhigend, obwohl es ihr schwerfällt, sich auf seine Worte zu konzentrieren. Das macht aber nichts, es ist einfach ein gutes Gefühl, dass er da ist. Der vertraute Klang seiner Stimme ist wie Balsam für ihre Seele.
Sie überlegt, wie lange sie wohl schon hier liegt und wie sie aussehen mag. Womöglich hat man ihr die Haare abgeschnitten, wie oft bei bettlägerigen Patienten. Eine beängstigende Vorstellung, aber bei Weitem nicht so schlimm wie die Bilder einer Komapatientin, die sie im Fernsehen gesehen hat. Sie hatte den Mund offen stehen, der Speichel lief ihr übers Kinn, und ihr Gesicht verzog sich fortwährend zu Grimassen. Damals dachte Senta, dass es ihr in so einem Fall lieber wäre, man zöge den Stecker.
Dieser Gedanke kommt nun wieder in ihr hoch. Aber so grausam kann das Leben unmöglich sein, dass sie wie eine Pflanze dahinvegetieren muss, ja vielleicht sogar stirbt. Dafür ist sie noch viel zu jung. Seltsam, was ihr Alter angeht, hat sie bisher anders gedacht, aber jetzt begreift sie, dass sie tatsächlich noch jung ist. Keineswegs alt und abgeschrieben, weil sie die dynamischen DreiÃiger hinter sich gelassen hat, sondern eine Frau, die mitten im Leben steht!
Die Probleme, mit denen sie sich bisher herumgeschlagen hat, kommen ihr mit einem Mal lächerlich vor. Nichtigkeiten waren es, unbedeutende kleine Sorgen einer Frau, die alles hatte, was man sich wünschen kann, es aber nicht zu schätzen wusste.
Wenn sie aufwachen sollte, will sie alles anders machen. Der Familie mehr Zeit widmen, weniger arbeiten, mehr genieÃen. Nie wieder ein Seitensprung.
Das ist meine Strafe, schieÃt es ihr durch den Kopf. Nichts geschieht ohne Grund. Vielleicht gibt es ja doch einen Gott, und er will mir damit begreiflich machen, dass ich mein Leben ändern muss.
Ich habe
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