Rettungslos
drauÃen brennt Licht, aber um sie herum ist es noch dunkel.
Sie schlieÃt die Augen, will noch einmal in ihren Traum zurück. Worum es ging, weià sie nicht mehr, denn die Bilder haben sich verflüchtigt, nicht aber das Unbehagen, das sie hinterlassen haben. Ihr Bewusstsein klammert sich daran, will sie auf etwas Bestimmtes aufmerksam machen.
Langsam erwacht das Krankenhaus zum Leben, und ihre Chancen, wieder einzuschlafen und weiterzuträumen, verringern sich mit jeder Sekunde. Senta nimmt es hin und schlägt die Augen auf: Ein neuer Tag hat begonnen â¦
»Guten Morgen!« Frau Dr. Reijnders steht lächelnd am FuÃende ihres Betts. »Wie geht es Ihnen heute? Gut geschlafen?«
Senta erwidert das Lächeln. »Ja. Ich habe ein bisschen wirr geträumt, bin aber ausgeruht.«
»Fein.« Die Ãrztin wirft einen Blick auf das Krankenblatt. »Ich habe gute Neuigkeiten: Die Tests von gestern Abend sind alle positiv ausgefallen. Wir können Sie also bald entlassen.«
»Ich darf nach Hause? Wann?«
»Die Sache ist die â¦Â« Die Ãrztin setzt sich auf den Stuhl neben Sentas Bett. »Patienten, die kein Wasser in die Lunge bekommen haben, können wir in der Regel schon am nächsten Tag entlassen. In Ihrem Fall ist es allerdings ein wenig anders. Sie lagen eine ganze Weile im Koma, und ihr Retter meinte, die Bewusstlosigkeit sei eingetreten, kurz bevor er mit Ihnen an die Oberfläche kam. Sobald man ohnmächtig wird, macht man den Mund auf, und dann gelangt Wasser in die Lunge. Bei Ihnen konnten wir das zwar nicht feststellen, aber schon sehr geringe Wassermengen reichen aus, um ARDS zu verursachen.«
»ARDS?«
»Acute Respiratory Distress-Syndrom â das ist eine gefährliche Infektion, die bis zu achtundvierzig Stunden nach dem Beinaheertrinken auftritt. Ich halte die Gefahr zwar nicht für groÃ, möchte Sie aber sicherheitshalber noch einen Tag hierbehalten.« Sie mustert Senta forschend. »Wie steht es inzwischen mit Ihrem Gedächtnis? Können Sie sich noch immer nicht an den Unfall erinnern?«
»Nein.«
»Hmmm, dann wird das wohl weiterhin im Dunkeln bleiben. Aber das ist nicht weiter schlimm. Es kommt relativ häufig vor, dass sich Patienten nach einem Schädel-Hirn-Trauma oder akutem Sauerstoffmangel nicht mehr an den Unfallhergang erinnern. Manchmal erstreckt sich der Gedächtnisverlust auf wenige Minuten, es kann aber auch ein längerer Zeitraum sein. Wir nennen das retrograde Amnesie.«
»Ich werde mich also nie mehr daran erinnern können?«
»Gut möglich, aber wenn man bedenkt, wie viel Glück im Unglück Sie hatten, ist das kein Grund zur Sorge.«
»Stimmt«, sagt Senta, doch als die Ãrztin nach einem festen Händedruck ihre Visite fortsetzt, starrt sie noch eine ganze Weile an die Decke.
Um die Mittagszeit wird Senta auf die normale Station verlegt.
Kurz darauf kommt Freek. »Ich hab dich überall gesucht!« Er lächelt ihr zu, tritt mit einem Blumenstrauà und mehreren Zeitschriften ans Bett und küsst sie auf den Mund. »Hallo, Schatz, wie geht es dir?«
»Ganz gut, am liebsten würde ich gleich nach Hause gehen.« Sie nimmt ihm die Zeitschriften ab und riecht an den Blumen. Es sind Rosen, frisch und voll erblüht. »Wunderschön! Vielen Dank, der Strauà bringt ein bisschen Farbe ins Zimmer.«
»Und anschlieÃend nimmst du ihn mit nach Hause.« Freek setzt sich aufs Bett, und Senta rutscht ein wenig beiseite. Er legt den Arm um sie und zieht sie an sich.
Eine ganze Weile sitzen sie so da, ohne ein Wort zu sagen.
SchlieÃlich durchbricht Freek die Stille: »Senta, ich hatte solche Angst, dich zu verlieren â¦Â« Seine Stimme klingt heiser.
»Ja â¦Â«, sagt sie leise.
»Ich habe viel nachgedacht in den letzten Tagen«, fährt er fort, ȟber uns beide, und darüber, wie viel wir für selbstverständlich halten: unsere Beziehung, die Familie, abends zusammen bei einem Glas Wein über den Tag reden â¦Â« Er dreht eine Strähne ihres Haars um seinen Finger, wie er das früher oft gemacht hat, in den letzten Jahren jedoch kaum noch. Auch die gemütlichen Dämmerstunden beim Wein sind selten geworden, ebenso die Gespräche. Trotzdem versteht Senta, was er meint: Auch ihm ist bewusst geworden, dass sich in ihrer Ehe schleichend etwas verändert hat.
»Ich denke oft, nun
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