Rettungslos
Girlanden. In Rosa, Blau und Weià umrahmen sie die Tür und ziehen sich an den Wänden entlang bis zum Gartentor. Wären noch mehr davon da gewesen, hätten die Kinder wohl auch noch den Laternenpfahl auf dem Bürgersteig dekoriert, meint Freek.
Mit feuchten Augen steigt Senta aus. Sie ist zutiefst gerührt, als sie im blumengeschmückten Wohnzimmer von den Kindern empfangen wird. Sie brechen in Jubel aus und fallen ihr um den Hals, sogar Niels nimmt sie in den Arm und legt wortlos seine Wange an ihre.
»Ach Kinder, ist das lieb!« Senta drückt sie der Reihe nach.
»Wir haben auch Kuchen!«, ruft Jelmer und zieht sie in die Küche, wo eine imposante Eierlikörtorte steht. »Das ist doch deine Lieblingstorte, Mam!«
»Und ob!«, versichert Senta. Sie dreht sich zu Freek um, der mit den Händen in den Hosentaschen und einem breiten Lächeln am Türrahmen lehnt. Eine Welle
der Zärtlichkeit erfasst sie, und sie küsst ihn sanft auf die Lippen.
»Danke«, sagt sie leise. »Das ist einfach wunderbar.«
»Bedank dich bei den Kindern. Es war ihre Idee.«
»Aber du hast doch das â¦Â«, beginnt Jelmer, bringt den Satz jedoch nicht zu Ende, weil Denise ihm ins Wort fällt. »Das soll doch eine Ãberraschung sein, du Blödmann!«, zischt sie.
Jelmer tritt ihr ans Schienbein, ist aber so glücklich über die Heimkehr seiner Mutter, dass er es dabei bewenden lässt.
»Wann kommt denn nun die Ãberraschung, Paps?«, zischelt er Freek zu.
»Nachher!« Freek zwinkert schelmisch.
»Allmählich werde ich neugierig. Was kommt nachher?« Senta mustert sie nacheinander.
»Das wirst du schon sehen!« Ausgelassen tanzt Jelmer durchs Zimmer. »Der erste Buchstabe ist ein â¦Â«
»Jelmer!« Denise hält ihrem Bruder den Mund zu. »Nicht verraten! Sie soll es doch nicht im Voraus wissen! Setz dich hin, Mam. Ich hol dir Kaffee, oder willst du vielleicht lieber Tee? Und ein groÃes Stück Torte oder ein gaaaanz groÃes?«
Senta möchte Kaffee und dazu ein mittelgroÃes Tortenstück. Wie eine alte Dame, die schlecht zu Fuà ist, wird sie von Niels und Jelmer zum Sofa geleitet.
Sie ist zu Hause, endlich, auch wenn ihr die vertraute Umgebung plötzlich seltsam fremd vorkommt. Ständig muss sie daran denken, dass sie um ein Haar alles verloren hätte. Ohne den Mann auf der DeichstraÃe
läge sie jetzt in einem Sarg. Statt Girlanden und Torte würde es hier im Haus tiefe Trauer geben. Sie schaudert und schiebt das makabre Bild weit von sich. Da geht ihr plötzlich ein Bild durch den Kopf. Ein Haus, denkt sie verblüfft, ich habe im Traum ein Haus gesehen!
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Die Ãberraschung entpuppt sich als Auto: Es ist ein Toyota Auris Business in Silbermetallic, ein Jahreswagen. Begeistert führt Freek ihr die gesamte Sonderausstattung vor und will gleich eine kleine Probefahrt machen.
Senta stellt sich vor, wie sie sich anschnallt, den Motor startet, losfährt. Sie wird blass und fasst sich an die Stirn. »Ich glaube, ich lege mich ein bisschen hin. Ich bin todmüde.«
»Selbstverständlich, Liebste. Ich hab ganz vergessen, dass du noch lange nicht wiederhergestellt bist. Ruh dich aus, dann bereite ich das Essen vor. Heute Abend machen wirâs uns gemütlich mit einem guten Wein und Musik â¦Â«
Behutsam führt er sie die Treppe hinauf. Die Kinder kommen hinterher und winken ihr zu, bevor sie sich in ihre Zimmer zurückziehen oder zu Freunden aufbrechen.
Freek packt ihre Tasche aus und hilft ihr in das Nachthemd. »Kommst du zurecht?« Besorgt sieht er sie an, während sie unter die Decke schlüpft.
»Ja, danke. Du bist ein Schatz.«
»Schlaf gut, Liebste.« Er gibt ihr einen schnellen Kuss und zieht dann sachte die Tür hinter sich zu.
»Stell die Musik leiser, Mama schläft!«, hört Senta ihn noch zu einem der Kinder sagen.
Sie will jedoch nicht schlafen, sondern einfach nur still daliegen und die Ruhe genieÃen. Aber das Bild des Hauses verfolgt sie regelrecht. Gehört es in die eine Stunde, die sie vergessen hat? Warum erinnert sie sich an ein Haus und nicht an den Moment, als sie ins Wasser fuhr?
Grübelnd starrt Senta an die Decke. Es war neblig, das weià sie genau. Sie hatte sich verfahren, fällt ihr ein, und irgendwo nach dem Weg gefragt. Vielleicht war es in dem bewussten Haus, und sie hat dort gewartet, bis
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