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Rettungslos

Titel: Rettungslos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: van der Vlugt Simone
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ihn dadurch wach.
    Lisa lässt die roten Leuchtziffern des Digitalweckers auf dem Nachttisch nicht aus den Augen. Anderthalb Stunden sind bereits vergangen. Sie lauscht seinem Atem, er ist ruhig und regelmäßig. Die Hand auf ihrer Brust erschlafft. Das könnte bedeuten, dass Kreuger endlich schläft. Aber vielleicht tut er nur so …
    Eine neue Übelkeitswelle überkommt sie. Ins Bad, schnell! Sie entwindet sich seinem Griff und schlüpft aus dem Bett. Im Schlafzimmer hängt ein schwerer Geruch nach Sex und Schweiß – kein Wunder, dass ihr schlecht ist.
    Kaum ist sie im Flur, fühlt sie sich ein wenig besser. Sie atmet ein paarmal tief durch und geht dann ins
Bad, um einen Schluck Wasser zu trinken. Aus dem Schlafzimmer kommt kein Laut. Ob er tatsächlich so tief schläft? Sie spitzt die Ohren, hört aber nur seine Atemzüge. Es erleichtert sie unendlich, dass sie nicht mehr in seiner unmittelbaren Nähe ist, und sie bringt es kaum über sich, noch einmal ins Schlafzimmer zu gehen.
    Aber sie braucht ihre Kleider, zumindest den Bademantel. Und sie muss – so riskant es auch ist – seine Hosentaschen nach dem Handy und ihren Schlüsseln durchsuchen. Wahrscheinlich findet sie nichts, aber man kann nie wissen. Das würde ihr und Anouk die lebensgefährliche Aktion auf dem Dach ersparen.
    Lisa betrachtet sich im Badezimmerspiegel. Das Mondlicht lässt ihr Gesicht wachsbleich erscheinen. Sie hat Ringe unter den Augen, und die Haare fallen ihr strähnig ins Gesicht. Sie ist nur noch ein Schatten jener Frau, die am Montagnachmittag nichts ahnend die Wäsche aufhängte.
    Sie spricht sich Mut zu: Los jetzt, auf Zehenspitzen ins Schlafzimmer und rasch die Hosentaschen kontrollieren – gleich hast du’s hinter dir!
    Aber auf Zehenspitzen zu gehen, ist unmöglich, dazu zittert sie viel zu sehr. Sie betritt das dunkle Schlafzimmer. Kreuger schnarcht leise.
    Lautlos schleicht Lisa ums Bett herum, wo er seine Kleider achtlos auf einen Stuhl geworfen hat. Mit eiskalten, bebenden Händen tastet sie nach dem rauen Stoff seiner Jeans. Falls die Schlüssel in der Tasche sind, könnten sie klirren.
    Ganz vorsichtig hebt sie die Hose hoch, ihre Finger
finden den Gürtel, tasten nach unten. Sie fasst in die erste Tasche. Leer!
    Mit einem Grunzen dreht Kreuger sich um.
    Von dem drückenden Mief wird Lisa erneut speiübel. Sie holt tief Luft und durchsucht hastig die übrigen Hosentaschen. Alle sind leer. Sie hat damit gerechnet, trotzdem ist sie frustriert. Also bleibt ihr nichts anderes übrig, als mit Anouk übers Dach zu fliehen, auch wenn ihr unklar ist, wie sie das in ihrem desolaten Zustand schaffen soll.
    Ihr Blick fällt auf die leere Betthälfte neben Kreuger, und mit einem Mal durchströmt sie neue Energie. Die Alternative wäre schlicht undenkbar!
    Sie nimmt ihren Bademantel, der am Fußende des Betts liegt, und zieht ihn im Flur über. Zu dumm, dass sie keine Turnschuhe besitzt, nur Schuhe mit Absatz. Aber damit würde sie zu viel Lärm verursachen und außerdem auf der Dachschräge keinen Halt finden. Dann eben barfuß.
    Jetzt muss sie ihre Tochter wecken und ihr den Fleecepulli anziehen. Wenn sie nur beim Wecken nicht laut protestiert oder unbedingt noch aufs Klo will …
    Lisa steht bereits vor Anouks Zimmer, als die Übelkeit übermächtig wird. Mit wenigen Schritten ist sie im Bad und kniet vor dem Klo.
    Sie zittert am ganzen Körper, der Magen krampft sich schmerzhaft zusammen, dann ergießt sich ein Schwall in die Schüssel.
    Hinter ihr geht die Badezimmertür.
    Â»Was ist los?« Kreugers Stimme.
    Lisa bleibt die Antwort schuldig. Mit einer Hand
hält sie ihr Haar aus dem Gesicht. Kaum ist sie zu Atem gekommen, beginnen die Krämpfe von Neuem, und sie muss sich rasch vorbeugen.
    Sie zieht mehrmals die Spülung, um den säuerlichen Geruch zu vertreiben, und muss erneut würgen.
    Kreuger hat sich auf den Badewannenrand gesetzt.
    Als nur noch Galle kommt und ihr Körper sich langsam ein wenig beruhigt, wird Lisa klar, dass sie diesem Mann noch weitere drei Tage und Nächte ausgeliefert sein wird. Mit hängenden Schultern wischt sie sich den Mund ab, nimmt das Glas Wasser, das er ihr hinhält, und beginnt hemmungslos zu weinen.
    Er streicht ihr übers Haar. »Arme Lisa«, sagt er sanft. »Arme, arme Lisa.«

31
    Als sie vor dem Haus parken, sieht sie als Erstes die

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