Rettungslos
beginnt, fühlt sie sich seltsam erleichtert.
32
Langsam öffnet Lisa die Augen. Sie hat die ganze Nacht wach gelegen, jedes Mal, wenn sich Kreuger im Bett bewegte, ging das wie eine Schockwelle durch ihren Körper, jeder Schnarchlaut lieà sie erstarren, und wenn seine Hand sie im Schlaf berührte, hatte sie das Gefühl, er fasse auf einen blank liegenden Nerv.
Nachdem er frühmorgens aufgestanden war und bald darauf das Zimmer verlassen hatte, war sie abgrundtief erleichtert.
Als sie sich gerade recken und strecken will, geht die Tür auf. Anouk huscht herein, kommt zu ihr ins Bett und schmiegt sich an sie. Nach wenigen Minuten ist sie wieder eingeschlummert, und Lisa streicht ihr sanft über das dunkle Haar.
Deprimiert blickt sie zum Vorhangspalt, durch den das erste Tageslicht fällt. Wäre es anders gelaufen, befänden sie sich nun auf dem Polizeirevier oder wären, falls man Kreuger noch in der Nacht verhaftet hätte, bereits wieder hier und hätten das Haus für sich. Lisa
bezweifelt allerdings, dass sie je wieder unbeschwert in ihrem Haus wird leben können. Auf jeden Fall wird sie alle Gegenstände, die Kreuger angefasst hat, fortschaffen, als Erstes dieses Bett.
Aber an die Zukunft zu denken, ist ein Luxus, den sie sich nicht erlauben kann, solange dieser Albtraum noch andauert.
Schritte auf der Treppe. Lisa will aus dem Bett springen, als ihr im letzten Moment einfällt, dass sie nackt ist. Schnell zieht sie die Decke bis zum Kinn.
Kreuger tritt ins Zimmer. »Gehtâs dir besser?«
Die steile Falte zwischen den Augenbrauen könnte auf Mitgefühl hindeuten, wäre da nicht sein gereizter Unterton.
»Ja«, sagt Lisa leise.
»Keine Ãbelkeit mehr?«
»Nein, alles in Ordnung.«
»Geh duschen«, rät Kreuger. »Hier stinkt es bestialisch.«
Er dreht sich um, und sie hört ihn nach unten gehen. Langsam, um Anouk nicht zu wecken, richtet sie sich auf und schwingt die Beine über die Bettkante. Auch sie sehnt sich nach einer Dusche, obwohl sie ihm besser mit säuerlichem Mundgeruch und verklebtem strähnigen Haar gegenübertreten sollte.
Trotzdem stellt sie die Dusche an. Gleich darauf spült der warme Strahl die vergangene Nacht von ihr ab, doch erst nachdem sie sich von Kopf bis Fuà eingeseift und drei Mal nacheinander das Haar shampooniert hat, fühlt sie sich einigermaÃen sauber.
Sie wickelt sich in ein Badelaken, geht wieder ins
Schlafzimmer und öffnet den Kleiderschrank. Ein grauer Schlabberpulli und eine zerschlissene Jeans scheinen ihr am geeignetsten.
»Mama, ist der Mann fort?« Schlaftrunken richtet Anouk sich auf.
»Nein, er ist unten.«
»Ach.« Barfuà tapst Anouk ins Badezimmer.
»Warum lässt der Mann uns wieder in unseren Betten schlafen?«, fragt sie, als sie zurück ist.
»Das weià ich nicht genau. Vielleicht, weil er nett zu uns sein will.«
Bedächtig betrachtet Anouk sich in dem groÃen Spiegel am Kleiderschrank, geht dann aus dem Zimmer und kommt mit einem rosa Krönchen auf dem noch zerstrubbelten Haar zurück.
»Ich kann ihn aber nicht leiden«, sagt sie entschieden, als wäre sie nach gründlichem Nachdenken zu diesem Schluss gekommen.
»Ich auch nicht.« Lisa zieht ihre Tochter an sich und drückt sie fest. »Aber wir müssen so tun, als ob.«
»Das ist aber ganz schön schwer, Mama!«
»WeiÃt du, mein Schatz â¦Â« Lisa setzt gerade zu einer längeren Erklärung an, als unten das Telefon klingelt.
Sie werfen sich hastig einen Blick zu, und Lisa wird bewusst, wie absurd es doch ist, ein sechsjähriges Kind als Verbündeten zu haben.
Das Läuten ist verhalten und dumpf. Lisa hört Kreuger vom Wohnzimmer in den Flur gehen, ein Schlüssel wird umgedreht. Nun klingelt es lauter. Also hatte er das Telefon im Wandschrank oder im Zählerkasten versteckt.
Atemlos wartet sie auf seine Aufforderung, herunterzukommen und abzunehmen. Doch dann hört das Läuten abrupt auf.
Damit sie zur Stelle ist, falls der Anrufer es später noch einmal versucht, geht Lisa mit Anouk nach unten.
»Wer war das?«, fragt sie zaghaft.
»Menno«, sagt Kreuger nach einem Blick auf das Display und befestigt das Telefon an seinem Gürtel.
Lisas Mund wird trocken. Sie ist nicht gläubig, nun aber betet sie inbrünstig, er möge nicht noch einmal anrufen. Menno lässt sich nicht so
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