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Return Man: Roman (German Edition)

Return Man: Roman (German Edition)

Titel: Return Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.M. Zito
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Magen verkrampfte sich. Durch den Fahrtwind, der ihm ins Gesicht blies, tränten die Augen sowieso schon, und nun spürte er, wie zwei Tropfen auf die Nasenwurzel fielen.
    Emotionale Geografie, richtig? Mit diesen Worten hatte er Osbourne die Erinnerungsverknüpfung beschrieben. Die Art und Weise, wie das Gehirn die intensivsten Erlebnisse markierte– als ob man Orte auf einer Landkarte mit Fähnchen kennzeichnete, um sie jederzeit wiederzufinden. Schön ordentlich, und das Gehirn glaubt, dass es einem einen Gefallen damit tut. Doch eine Sache übersieht es dabei.
    Manchmal entführen die Emotionen einen zu– zu schönen Orten. Zum Lake Hemet.
    Und manchmal führen sie einen zu Orten, die mit schmerzhaften Erinnerungen verbunden sind.
    Zu Orten, die man eigentlich nie wieder aufsuchen wollte.
    Der Friedhof. Sie ist dort. Ich kann es spüren.
    Die Fahrt war zu Ende. Die Route 47 führte in die Ebene hinab und aus dem dichten Wald hinaus, und bis Hemet waren es nur noch gut anderthalb Kilometer. Sein Herz verkrampfte sich, und er schluckte einen Brocken des Mageninhalts hinunter, der ihm hochgekommen war. Genau das passiert nämlich am Ende der Achterbahnfahrt, sagte er sich. Man versucht, den Brechreiz zu unterdrücken.
    Er dachte an die Glock, die im Holster unter seinem Arm steckte. Es befand sich noch eine Kugel im Magazin. Das genügte aber auch.
    Danielle brauchte nur eine.
    9 . 4
    Das Quad beschrieb erst eine abrupte Linkskurve, dann eine Rechtskurve, sodass Wu wie ein Lämmerschwanz zitterte.
    Er krallte sich mit aller Kraft am Gepäcknetz des » Ebers« fest. Seine Fingerknöchel traten weiß hervor, und er verzog das Gesicht. Bei jedem Schlagloch und bei jedem Stein oder herumliegenden Ast, der unter die Räder geriet, wurde er brutal durchgeschüttelt. Die Schusswunde in der linken Schulter schmerzte höllisch, als ob die Kugel ein Entlüftungsventil in den Körper gerissen hätte. Vor seinem geistigen Auge sah er heißes Gas ausströmen. Jeden Moment müsste er wie ein Teekessel pfeifen.
    Sein Kopf hing wie ein totes Gewicht zwischen den Schultern, und er fühlte sich alt. Träge und steif. Dabei war er erst achtunddreißig. In seinem Leben hatte er schon zwei Schussverletzungen erlitten, er war ausgepeitscht worden, und in Nordkorea hatte man ihm mit einem Bajonett den Oberschenkel durchstoßen. Man hatte ihn gefoltert, ihm Brandwunden zugefügt und Sandkörner unter die Augenlider geschoben. Man hatte ihm den Daumen umgebogen und gebrochen. Und doch, dachte er, hatte er sich noch nie so zerschlagen gefühlt wie jetzt. Schlaf, sagte er sich. Schlaf war das Problem.
    Er hatte seit sechzig Stunden nicht mehr geschlafen. Vielleicht würde er auch die nächsten sechzig Stunden ohne Schlaf auskommen müssen. Er hatte noch eine gewaltige Aufgabe vor sich: Er musste die Ballard-Leiche finden und erledigen. Dann musste er eine DNA -Probe nehmen, bevor er die Leiche zu Asche verbrannte– sodass sie für jede andere Nation unbrauchbar wurde, die vielleicht auch auf der Suche nach ihr war. Dann musste er die wertvolle DNA nach Süden bringen, nach Mexiko, und zwar über dieselbe ungesicherte Grenze, die auch von den Reitern überschritten wurde. In der menschenleeren Wüste außerhalb von Tijuana sollte er dann von einem MSS -Bergungsteam aufgesammelt werden.
    Der Gedanke an all das, was noch vor ihm lag, erschöpfte ihn noch mehr. Sein Smartphone war weg, durch die Explosion des Zuges vernichtet worden, deshalb hatte er keine Möglichkeit mehr, sich mit dem Team in Verbindung zu setzen. Er würde sich eine andere Lösung einfallen lassen müssen. Doch vor allen Dingen musste er bei Kräften bleiben. Er schloss die Augen und versuchte sich vorzustellen, wie sein Körper sich von selbst heilte und die Wunde sich schloss. Konzentration. Grelle Lichtpunkte tanzten im Rhythmus des schaukelnden Quads in der Dunkelheit. Er ließ die Gedanken schweifen und stellte sich vor, dass er lose Fadenstränge zwischen den Fingern hielt; er zog sie stramm und verdrillte sie.
    » Was macht Ihre Schulter?«, fragte der Amerikaner und durchbrach die Trance.
    » Alles klar«, rief Wu verärgert. Er war ein Meister im Unterdrücken von Schmerzen– und wenn es ihm einmal nicht gelang, sie zu unterdrücken, dann vermochte er sie zumindest zu kaschieren. Henry Marco hatte kein Recht, ihn so etwas zu fragen. Kheng Wu hat alles unter Kontrolle.
    Seine Hände kribbelten, und er wurde sich bewusst, dass sein Blut sich staute, weil er die

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